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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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hatte.
    »Was sagt ihr denn nur dazu, Kinder, daß ich meinen Würzburger Kavalier hier wiedergefunden habe? Und Fräulein Hartenstein dazu! Wir wollen jetzt öfter zusammen sein - sie wird euch gefallen.«
    Annemarie wurde noch lebhafter als gewöhnlich.
    »Ich habe gehört, die Kusine Annelise Bergholz soll viel hübscher sein«, warf Marlene ein.
    »Mir gefällt Ola Hartenstein besser.«
    »Sie sieht wohl wie ihr Bruder aus?« fragte Ilse neckend.
    »Nee, ganz und gar nicht!« Peinlich, daß man manchmal rot wird und immer in den ungeeignetsten Augenblicken.
    »Stellt euch vor, die ganze Mondscheinnacht haben wir durchgekneipt«, gab Annemarie dem Gespräch rasch eine andere Wendung. »Der Sonnenaufgang war bezaubernd schön. Bergholz hat vorgezogen, ihn von seinem Bett aus zu genießen. Er drückte sich. Aber viel geschlafen haben wird er wohl kaum bei dem Radau, denn die ausgelassene Gesellschaft ließ sich nicht im geringsten stören. Ich kam erst mit dem Milchjungen heim!«
    »Wenn ich dabeigewesen wäre, hättest du nicht die ganze Nacht durchkneipen dürfen, Annemie. Dann wären wir spätestens ein Uhr nach Hause gekommen«, scherzte Marlene.
    »Sicher, Pensionstantchen. Gut, daß du nicht da warst. Übrigens, Rudolf Hartenstein wollte euch noch holen, es tat ihm zu leid, daß man euch daheim gelassen hatte. Dafür erhaltet ihr aber eine Entschädigung.« Annemarie brachte einen umfangreichen Beutel und öffnete ihn mit verheißungsvoller Miene.
    »Mmm -« machte Ilse begehrlich und leckte sich die Lippen. »Hast du das alles gemaust, Annemie?«
    »Nee, ich klaue immer nur bescheiden. Aber Dr. Hartenstein füllte den Beutel mit allem Guten, was noch zu haben war.«
    »Scheint wirklich ein netter Mensch zu sein, der Dr. Hartenstein«, meinte Ilse anerkennend und ließ es sich schmecken.
    »Krabbe und Neumann waren nicht sehr begeistert von ihm. Arrogant fanden sie ihn«, berichtete Marlene. »Du hättest dich viel zuviel mit ihm abgegeben.«
    »Eifersüchtig sind sie, die dummen Jungen - ganz einfach! Wie können die jungen Füchse sich überhaupt erdreisten, ein älteres Semester so unverschämt zu kritisieren«, begehrte Nesthäkchen auf. »Und ich für mein Teil werde mir das ganz energisch verbitten, daß sie sich in meine Angelegenheiten hineinmischen.« Ganz heiß redete sie sich.
    »Ach, bausch die Sache doch bloß nicht auf«, begütigte Marlene. »Sie meinen es doch nicht bös. Unser Schwäbischer Wanderbund war bisher so harmonisch, daß wir keinen Mißklang hineinbringen wollen.«
    »Gleich werden sie übrigens hier sein, unsere Schwaben, um uns zum Sonntagsspaziergang abzuholen. Es schlägt schon vier.« Ilse biß mit kräftigen Zähnen auf eine Krachmandel.
    »Hab' gar keine Lust mitzugehen.« Annemarie gähnte herzbrechend. »Ich hab J nen Kater.«
    »'nen Bock hast du, eigensinnig bist du«, lachte Ilse Hermann sie aus.
    Das Motiv aus dem Dreimäderlhaus »Ich schnitt es gern in alle Rinden ein« erklang pfeifend vom Gärtle herauf. Sie waren da, die Freunde. Annemarie raffte den Rest der Süßigkeiten, die Marlene und Ilse in ihrem Vertilgungseifer noch übriggelassen hatten, zusammen. »Das ist für Egerling.« Dann folgte sie den Freundinnen die schmale Stiege hinab.
    Die Kirchenmäuse waren auf Kindlbier ins nächste Dorf geladen. Sorglich legte Marlene den Hausschlüssel unter die Türmatte.
    »Grüß Gott - ausg'schlafe, Neschthäkche? Hascht ja geschtern kein' Blick nit für deine Freund' g'habt?« begrüßte sie Egerling.
    »'sch gab halt anderen Leut' Blicke zu schenke«, warf der Viehdoktor anzüglich dazwischen.
    Annemarie hielt es für das Klügste, Krabbes Sticheleien sowohl wie Neumanns vorwurfsvollen Karpfenaugen keine Beachtung zu schenken. Die kindliche Freude Egerlings über die für ihn aufgesparten Zuckerle gab ihr alsbald ihre Unbefangenheit wieder.
    Sonntagsruhe in der Stadt. Sonntagsruhe auch draußen in der Gottesnatur. Das Ammertal, in dem sie aufwärts stiegen, lag friedlich und weltabgeschieden mit seinem Erlengrund. Leise plätscherte die Ammer dem Neckar zu. Heupferdchen geigten irgendwo im Verborgenen. Eine goldbraune Eidechse sonnte sich auf moosigem Felsgestein. Da fand auch Nesthäkchen, das seit gestern eine gewisse innere Unruhe verspürte, sein Gleichmaß und seine Heiterkeit wieder. Das Leben war ja so schön. Wolkenlos klar wie der Sonntagshimmel da droben schien es den jungen Menschen.
    Auf dem Hochplateau, das man erreichte, war man bei der Heumahd.

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