Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
mit bierheiserer Stimme. »Hascht Luscht, Neschthäkche, die dritte zu werde?«
»Unverschämtheiten mit anzuhören, dazu habe ich keine Lust!« Nesthäkchen sprach's und wandte den Freunden den Rücken.
»Ja, was hat's denn? Warum ischt's denn gar so borschtig heut?« meinte Egerling verwundert. Die liebenswürdige Annemarie, die auf jeden Scherz sonst ein lustiges Wort fand, kannte man ja gar nicht wieder.
»'nen Katzenjammer hat sie«, lachte Marlene.
»Wenn die Kinder müde sind, werden sie unartig«, stimmte auch Ilse ein.
Inzwischen hatte Annemarie die Haustür geöffnet. Etwas Weißes, das dazwischengeklemmt war, fiel zu Boden. Schnell bückte sie sich danach. Eine Visitenkarte - »Dr. med. Rudolf Hartenstein«, stand in gedruckten Lettern darauf.
Darunter mit Bleistift Ola Hartenstein, Annelise Bergholz.
Also war er doch gekommen! Alle drei waren sie dagewesen, sie zum Spaziergang abzuholen. Was solch ein weißes Blatt doch vermochte. Annemarie sprang plötzlich trällernd die Treppe hinauf ans Fenster.
»Wenn'sch brav sein wollt, Studentle, und eure Keckheite lasse, dürft'sch dableibe und eure Brote halt im Gärtle esse«, rief sie mit lachendem Gesicht hinter den drei abziehenden Schwaben her.
»Ischt's wahr?« Sofort wurde kehrtgemacht.
»Ja, Neschthäkche, bei dir kennt man sich nimmer aus.«
Heilfroh waren die Kameraden, daß Annemarie wieder scherzte.
Das wurde wieder ein fideler Abend im Dreimäderlhausgarten. »Nachfeier zum Rosenfest« nannten sie's. Annemarie wußte nichts mehr von Katzenjammer, von Müdigkeit oder gar Gereiztheit. Jetzt war sie es, welche die anderen aufzog.
Eine fleißige Arbeitswoche folgte den frohen Festtagen. Voller Eifer gingen die drei Freundinnen, obwohl sie in dem fröhlichen Schwabenland nur zu gern ihre Jugend genossen, von Anfang an auf ihr Ziel los. Marlenes Pflichttreue wirkte auch auf die etwas leichter geartete Annemarie vorbildlich.
Nesthäkchen hatte in dieser Woche doppelte Pflichten. Die Hausfrauenarbeit war ungleich schwieriger als die gelehrtesten medizinischen Abhandlungen, die es zu verstehen galt. Wer die »Woche« hatte, mußte die Betten machen und das Geschirr spülen, denn Frau Kirchmäuser hatte keine Hausgehilfin. Dann galt es, Kakao zu bereiten, Einkäufe zu machen und den Abendbrottisch zu versorgen. Das war gar nicht so einfach, wenigstens für Nesthäkchen nicht, die stets daheim von Hanne und dem Hausmädchen verwöhnt und bedient worden war.
Hier galt's nun selbst anzupacken. Als Annemarie zum ersten Mal die Betten gerichtet hatte, zeigten diese eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der Schwäbischen Alb. Wellenlinien, Hügel und Anhöhen, dazwischen Täler und Schluchten. Die Freundinnen lachten sie aus, und Ilse zeigte ihr, wie ein Bett glatt und eben zu richten sei.
Auch der Einkauf hatte seine Schwierigkeiten. Nesthäkchen war nicht kleinlich.
Es kaufte gleich en gros, weil es dann immer ein paar Pfennige preiswerter war. So überraschte es eines Tages die Freundinnen mit zehn Köpfen Blumenkohl, weil es den einen, den es ursprünglich hatte kaufen wollen, dadurch um zwanzig Pfennig billiger bekam. Marlene und Ilse waren entsetzt. Es mußte die ganze Woche zu sämtlichen Mahlzeiten Blumenkohl gefuttert werden. Frau Veronika nahm freundlichst zwei Köpfe ab, immer noch war Blumenkohl da. Der ganze Schwäbische Wanderbund mußte sich opfern und einer Blumenkohleinladung folgen.
Den gemeinsamen Bemühungen gelang es schließlich, den endlosen Blumenkohl zu vertilgen. Aber während ihres ganzen Studienjahres mochten die Bewohnerinnen des Dreimäderlhauses keinen Blumenkohl mehr sehen.
Beim Kochen hatte Nesthäkchen noch die besten Erfolge zu verzeichnen. Dies lag aber weniger an Annemaries Tüchtigkeit als an Frau Veronikas Hilfsbereitschaft.
Die Frau Wirtin hatte nun mal ihren Narren an dem hübschen, lustigen Mädchen gefressen. Nachdem Annemarie gleich zu Beginn ihrer hausfraulichen Bestrebungen ein wenig aufgeregt zu ihr gekommen war: »Liebe Frau Kirchmäuser, sehen Sie doch bloß mal nach, ob die Eier schon weich sind. Sie kochen bald eine halbe Stunde!« Ja, da hatte Frau Veronika es doch für richtig gehalten, nach derartigen Proben hausfraulicher Tüchtigkeit lieber selbst mit Hand anzulegen. Annemarie schämte sich, daß sie weniger verstand als die Freundinnen. Sie nahm sich vor, bei Frau Veronika in die Lehre zu gehen. Mit Energie machte sie sich ans Werk.
Und wenn's auch noch manche Klippe, ja sogar öftermal
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