Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
Ungeachtet der Sonntagsruhe wurde hier fleißig geschafft. Das schöne Wetter mußte genützt werden.
»Grüß Gott!« Egerling blieb stehen und sah mit sachverständigen Blicken zu.
»Schafft's?«
»'sch muß halt guet sein!« Der Bauer sah nicht auf.
»Solle mer helfe?«
»Versuch'sch!« Der Bauer reichte ihm die Sense, »aber schneid di nit, 's nämlig' schärft.« Er lachte dröhnend. Die Frau, der Knecht und das Dirnlein hielten ebenfalls im Schneiden und Zusammenharken inne und sahen auf den Stadtherrn, der sich wohl nun blamieren würde.
Aber kunstgerecht ließ Egerling die blanke Sense durch das Gras sausen. Schwaden um Schwaden sank, von seinen muskulösen Armen getroffen.
»Brav ischt's«, lobte der Bauer erstaunt ... hätt' i dem Herrn Studentle nimmer zug'traut. Schad', daß ka Bauer nit wirscht.«
»Geischtlich will i werde, da kann i mei Land auch b'stelle!« Egerling mähte kraftvoll weiter.
»Da werde d' Landleut mal a recht's Zutraue zu dem Herren Pfarrer habe, wenn er ihr' Sach' so guet verstehe tut«, meinte der Bauer anerkennend. Die Ehrfurcht vor dem geistlichen Stand ließ ihn nicht mehr das landläufige »Du« gebrauchen.
»Aber 'seh wird dem Herrn halt z'viel werde.«
»Das bißle? I will den Strich scho' richte. Kommt's helfe, Kinderle«, wandte sich Egerling an die Kameraden. »Ihr könnt's z'sammereche, Krabbe und Hermann, du, dort drübe das Heu umwende, Ulrich, und du, Neschthäkche, muscht halt auflockere, daß d' guete Herrgottssonn' allenthalbe dazu kann. Ja, Neumann, wie kannscht denn du noch helfe?«
»I weiß scho', wie« - und da lag Neumann, das Faultier, auch schon der Länge nach irgendwo im Heu und schloß seine Karpfenaugen.
Mit Rechen und Heugabeln rückten die andern ihm zu Leibe, um ihn damit zu »kitzeln«. Aber Neumann rührte sich nicht. So machte man sich ans Werk und schimpfte über den Faulenzer.
Hei - das schaffte. Die Wangen glühten, die Arme erlahmten, der Rücken schmerzte von der ungewohnten Arbeit - was tat's?
Nesthäkchen stand in einem Heuregen, so temperamentvoll lockerte es die niedergemähten Schwaden.
Marlene und Ilse, die niemals auf dem Lande gewesen waren, stellten sich ziemlich ungeschickt an, aber das erhöhte nur noch die gute Laune. Übermütige Neckereien begleiteten die Arbeit.
»Neschthäkche«, rief plötzlich Neumann, durch die Augenlider blinzelnd, »gib Obacht!«
»Redest du aus dem Schlaf, Faulpelz?« Annemarie ließ sich nicht stören.
»Freili, mir hat g'träumt, da drübe geht halt dein Verehrer. Aber er hat dich heut kaltg'stellt, Neschthäkche. Er spaziert mit anderen Mädle, gleich zwei halt zur Auswahl. Hahaha!« - Neumann lachte sichtlich erfreut.
Die Heuhalme entfielen Annemaries Händen. Ihre Arme sanken herab. Wirklich, dort oben auf der kleinen Anhöhe zeichneten sich von dem klaren Himmel drei Figuren wie scharfgeschnittene Silhouetten ab. Ein Blick überzeugte Annemarie, daß es in der Tat Rudolf Hartenstein war, der dort, an einem Arm die Schwester, am andern die Kusine, den Talblick genoß. Sie wandten der hinüberstarrenden Annemarie den Rücken. Jetzt schritten sie weiter, ohne sie bemerkt zu haben.
Annemarie wußte nicht, sollte sie sich darüber freuen oder ärgern. Jedenfalls war es um ihre Arbeitsfreudigkeit geschehen.
Die Mädel begannen allmählich über Muskelschmerzen zu stöhnen. Egerling hatte ein Einsehen. Nachdem er den Grasstrich niedergelegt hatte, setzten alle unter Dankesworten des Bauern ihren unterbrochenen Spaziergang fort.
»Zum Erntefescht müscht ihr komme und mithalte«, rief der Bauer noch hinter ihnen drein. Die lustige Stimmung der jungen Wanderer war noch geradeso fidel wie zuvor. Die Sonne strahlte ebenso golden. Und doch schien es Annemarie, als ob alles ringsum verändert wäre. Woran lag das nur?
Im Dreimäderlhaus waren die Kirchenmäuse noch nicht heimgekehrt. Der Schlüssel lag unangetastet an seinem Platz. Annemarie hatte die drei Schwaben, die Lust zu haben schienen, gemeinsam mit ihnen zu Abend zu speisen, ziemlich deutlich verabschiedet. Sie sei heute zu müde und bedürfe bald der Ruhe.
»Da sieht man's halt wieder, daß ihr Mädle nix aushalte könnt. Wozu studierst nachher, wenn d' nit mal eine Nacht durchbummele kannscht«, zog Egerling sie auf.
»Neschthäkche hat halt Weltschmerz!« - Neumann machte die dazu passenden Augen.
»Schone Madli, die kenn' i wohl drei an der Zahl, die eine liab i, die zweite küss' i, die dritte heirat' i amal«, sang Krabbe
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