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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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reichte sie Rudolf Hartenstein.
    Ja, war denn die Annemarie ganz und gar besessen, ihre alten Freunde so abfallen zu lassen? Krabbe machte ein Gesicht, als ob er den Fremden am liebsten sofort auf Säbelmensur gefordert hätte. Neumann schlug die Augen gen Himmel wie ein melancholischer Karpfen.
    Inzwischen hatte Rudolf Hartenstein freudestrahlend Annemaries Rose an seinem kaffeebraunen Leibrock befestigt. Eine leichte Verbeugung, dann reichte er ihr den Arm und führte sie an einen der kleinen Tische, die überall in Lauben und Gartennischen bereitstanden.
    »Ach, richtig, unterfassen mögen's ja nit«, erinnerte er sich plötzlich lachend.
    »Nee«, stieß Nesthäkchen hervor. Ganz ehrlich aber war's ihr damit nicht. Sie wäre heute recht gern am Arm von Rudolf Hartenstein geschritten. Ärmelten sie die drei Schwaben doch auch häufig genug unter.
    »Ihr könnt ruhig mitkommen«, wandte sie sich gnädig an die Freunde, denn die Armen taten ihr leid.
    »'sch gibt mehr Madle hier«, meinte der Viehdoktor erbost.
    Neumann gab überhaupt keine Antwort. Der verdrehte bloß die Augen.
    Recht war's ihnen, warum benahmen sie sich derartig dämlich. Annemarie würdigte sie keines Blickes mehr.
    Da drängte es sich plötzlich zwischen ihren kaffeebraunen Kavalier und sie.
    »Rudi, du Ungetreuer, wirst wohl deine zuerst Erkorene nit sitzelasse?« scherzte Annelise Bergholz unbefangen.
    »Da geht er mit einer anderen durch, und erst war er selig, daß ich ihn zu meinem Ritter erwählt hab'. Wart du-« Sie drohte ihm mit dem Zeigefinger.
    »Das hab' ich in der Tat ganz vergessen.« Der Vetter machte ein zerknirschtes Gesicht. »Aber wir können ja alle beieinand' sitzen, 's gibt ja auch Vierertische.«
    »Danke sehr, ich möchte nicht stören«, das blonde Biedermeierfräulein neigte steif den Kopf mit den wippenden Löckchen. Da hatte es auch schon den nichts von seinem Glücke ahnenden Neumann beim Wickel. Ihren Arm in den seinen legend, schritt Nesthäkchen stolz in entgegengesetzter Richtung von dannen.
    »Was hat denn das Mädle? Ich hab's doch nit etwa gekränkt, Rudi? Weißt', an deiner Gesellschaft liegt mir ja weiter nix, nur daß wir zwei beid' doch das Menuett mit Gesang nachher aufführe wolle. Aber wenn's so fad bist, da such' ich mir halt einen, der mehr Schneid hat.« Sie zog den Vetter, der noch immer hinter den Fortschreitenden herstarrte, zu einem der Tische.
    Rudolf Hartenstein scheuchte die Wolke, die ihm seine Feststimmung verderben wollte, mit Gewalt von der Stirn. Ach was, sie würde schon wieder gut werden, die Annemarie. Warum war sie denn gleich beleidigt, sie hätten doch ganz gut alle zusammen einen fidelen Tisch bilden können. Daß sie den Studenten Neumann unterfaßte und seinen eigenen Arm verschmähte, war eine Beleidigung für ihn.
    Rudolf Hartenstein runzelte die dunklen Augenbrauen und sah wütend auf Annemaries Rose, die er im Knopfloch trug. So süß duftete die, der Blick des jungen Arztes wurde milder.
    »Schläfst?« Annelise Bergholz versetzte dem Vetter einen freundschaftlichen Rippenstoß. »Die Herre solle die Dame mit Schokolad' und Küche versorge.
    Aber bei dir kann man halt verhungern. Herr Pfitzner, haben's ka Dam' nit? Da komme's und erlöse's mich vom Übel, gelt? Bei meinem Herrn Vetter sterb' ich Hungerstod und vor Langerweil'«, rief sie einem Studenten zu, der sich einen Platz suchte. Der ließ sich mit freudigem Stolz am Tisch der allgemein verehrten Haustochter nieder.
    Auch Rudolf Hartenstein besann sich jetzt endlich seiner Kavalierspflichten und sprang auf. »Befehle's Eisschokolad', eine warme Schokolad', Eiskaffee, Mokka, Tee oder Vanilleeis? Kräpfle, Topfkuche oder Quarkstrudel?« Er hatte die Serviette wie ein Kellner unter den Arm geklemmt und leierte im Kellnerton seine Speisekarte herunter.
    »Eisschokolad' und Kräpfle, Rudi. Herr Pfitzner, ich bitt' schön, versorgt sich's auch. Im Gartensaal ist das Büfett aufgeteilt.« Fräulein Bergholz wandte sich verschiedenen anderen Tischen ihrer Nachbarschaft zu, um ihren Haustochterpflichten nachzukommen. Aber da hatte sie nicht viel aufzufordern. Überall schleppten die Studenten Berge von Kuchen heran. Das schmauste, lachte und ulkte, warf sich mit Rosen und Konfetti, als sei bereits der Höhepunkt der Feier erreicht.
    Nein, für gute Laune brauchte das Haustöchterchen wirklich nicht Sorge zu tragen.
    Nur an einem Tisch ging es recht einsilbig zu, gerade dort, wo sonst wohl die ausgelassenste Stimmung in

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