Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest
ischt's nit«, gab der Schnauzbart zu. Er nahm dankend die Zigarren.
»Also i erklär' das Mehl halt für konfischiert - mehr kann i doch nit tun, gelt?«
Selbst der Referendar Hans Braun stimmte ihm bei, daß er seine Beamtenpflicht voll und ganz erfüllt habe.
»Ein andermal lasse sich's nit wieder erwische!« rief der Gendarm Annemarie noch wohlwollend nach, als sie in den Zug stieg.
»Jetzt sind wir ja bald in Ulm, da kommt das Kleine wieder unter elterliche Zucht. Das ist dringend notwendig, sonst verwahrlost es uns ganz«, neckte Hans.
Bis Ulm aber war noch reichlich Zeit, daß Nesthäkchen noch einmal mit dem Arm des Gesetzes nähere Bekanntschaft machen konnte.
Man hatte einen tüchtigen Marsch von dem Städtchen Sigmaringen ins obere Donautal hinter sich. Heiß brannte die Sonne auf die weiße Landstraße. Die Obstbäume, welche die Chaussee säumten, spendeten nur geringen Schatten. Die Zunge klebte den Wanderern im Halse, besonders den stets durstigen Studenten. Kein Gasthaus weit und breit. »Steigen wir doch zur blauen Donau hinunter, die hat genug Wasser für unsern Durst«, schlug Ilse vor.
»Wasser ischt nit guet, da kann man halt im Sommer leicht die Ruhr kriege«, widersprach der Viehdoktor. »Bier her - Bier her - oder i fall um - juchhe -« grölte er in die Sonnenlandschaft hinaus. Der Chor fiel natürlich ein, aber es klang matt.
»Eine Pflaume!« Annemarie bückte sich nach der bläulichen Frucht und rieb den Straßenstaub davon ab. »Ach, die schmeckt gut - die erfrischt!«
»Selber essen macht fett«, meinte Ilse neidvoll.
»Hier ist noch eine, Ilse - da, eine für dich, Marlene - Ola, die nächste kriegen Sie.«
»Ja, und wo bleib' denn ich?« neckte Rudolf.
»Ihr Mannsleut könnt in den Baum klettern und euch selbst welche pflücken. Was der Wind abgeschlagen hat, ist für uns.«
»So, fremde Pflaumenbäume plündern? Weißt du auch, daß dies Diebstahl ist, Annemarie?« verwies sie der Referendar.
»Ist mir ganz wurscht.«
»Wurscht - danach kriegt man halt noch mehr Durscht«, lachte der Viehdoktor sie aus.
»Dann sollen die Leute hier gefälligst ein Wirtshaus herbauen. Und wenn ihr kein Schneid dazu habt, hinaufzuklettern und uns Pflaumen zu pflücken, dann pfusche ich einfach dem Wind ins Handwerk.« Annemarie begann den Pflaumenbaum mit beiden Armen zu schütteln. Ein blauer Regen prasselte hernieder.
»Hurra - Neschthäkche lascht halt Zwetschge regne!«
Lachend erfrischten sich die Durstigen an dem Segen, der von oben kam.
»Nit mehr, Annemarie«, versuchte auch Rudolf Einhalt zu tun, als Annemarie Miene machte, ihre Muskelkraft am nächsten Pflaumenbaum zu probieren. »Die Zwetschgenbaume sind halt verpachtet, die sind nit Allgemeingut.«
»Ach was, die läßt unser Herrgott hier für jeden ermatteten Wanderer wachsen.
Der fragt nicht danach, wer die Pflaumen pflückt«
»Aber der Pächter um so mehr!« Wie aus der Erde gewachsen stand plötzlich ein zorngeröteter Mann, eine Sense in der Hand, vor ihnen. »So, jetzt kommen's halt mit zum Herrn Ortsvorstand, meine Zwetschge, die solle's mir bezahle.«
»Das wollen wir halt gern, lieber Mann«, begütigte ihn Rudolf, der sah, daß Annemarie, trotz ihrer Unverfrorenheit, erschreckte Augen machte. »Drei Pfund, mehr sind's gewiß nit gewesen? Was verlangen Sie dafür?«
»Halt dreißig Mark.«
»Was? Na, Sie sind billig!« lachte jetzt auch Hans. »Zehn Mark das Pfund Pflaumen, das geht ja noch über Schieberpreise.«
»Dreißig Mark Büß' koscht's, wenn eins von fremde Obstbäum' halt was pflücke tut. Kommen's nur mit zum Herrn Ortsvorstand, der wird's Ihna scho' weise.«
Es half nichts. Nicht einmal Neumanns Zigarren verfingen hier. Sie mußten bei der Sonnenglut den weiten Weg zum Dorf wieder zurückmarschieren, den sie soeben gekommen waren.
Die Damen stöhnten. Hans schimpfte auf die Schwester, die ihnen die ganze Suppe eingebrockt hatte.
Diesmal mußte Nesthäkchen daran glauben. Oder vielmehr Bruder Hans. Denn die Barschaft der Schwester reichte nicht soweit. Trotz aller Beredsamkeit des Referendars, trotz Rudolfs und der beiden Schwaben Fürsprache wurde die Studentin Annemarie Braun aus Tübingen dazu verurteilt, die Buße von dreißig Mark zu zahlen.
Das waren teure Pflaumen. Sie lagen Nesthäkchen so schwer im Magen, daß sie fürs erste keine Pflaumen mehr essen mochte.
Doch nicht lange, so war der Ärger verflogen, und nur die Neckereien und Witze, mit denen man Annemarie reichlich
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