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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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ich war nur erschreckt. Wo sind die anderen?« Sie hastete, von ihm fortzukommen.
    Ja, wo waren die anderen?
    Die Fackeln hatten sich entfernt, waren in andere Gänge eingebogen. Man hatte das Zurückbleiben der beiden nicht bemerkt. Kein Schimmer mehr von den rötlich lodernden Fackeln - schwarze, undurchdringliche Nacht ringsum.
    »Um Gottes willen - wir haben die anderen verloren!« Dem sonst so tapferen Nesthäkchen schlug das Herz bis in den Hals hinein.
    »Sie werden am Ausgang unser Fehlen feststellen und zurückkommen, uns zu suchen.« Hartensteins Stimme wirkte beruhigend.
    »Und wenn sie uns nicht finden, dann sind wir hier unten lebendig begraben.«
    Rudolf entzündete ein Streichholz. Es flammte auf, beleuchtete den grausigen Ort nur noch grausiger und verlöschte. »Wir dürfen uns nit von hier fortrühren, jeder Schritt kann uns wieder tiefer in das Labyrinth hineinführen. Wir müssen halt abwarten. Hallo -!« Dem lauten Ruf antwortete vielstimmiges Echo aus den Felsen.
    Sekunden wurden zu Stunden. »Annemarie, fürchten's sich?«
    »Ja«, klang es gepreßt.
    »Geben's mir Ihre Hand, Annemarie.« Eine kleine, eiskalte Hand schmiegte sich in Rudolfs warme Finger. »Wenn wir zwei beieinand' sind, ist's doch nit so arg schlimm - gelt, Annmarie?«
    »Ich bin schuld! Durch meine Unbesonnenheit müssen Sie vielleicht Ihr Leben einbüßen!« Nesthäkchen weinte.
    »Zum Betrauern hat's halt noch lang Zeit, denk' ich. Vorläufig leben wir alle beid', leben und haben uns lieb. Gelt, Annemarie, hast mich halt auch ein bißle gern?«
    Kein Wort brachte das sonst so kecke Nesthäkchen heraus. Kein armseliges Wörtchen. Nur mit dem Kopf zu nicken vermochte es. Aber das konnte man in der Finsternis nicht sehen.
    Da fragte Rudolf nicht mehr lange. Er nahm sich einfach die Antwort von Nesthäkchens Lippen.
    War es noch Finsternis ringsum. War man noch an schaurig verlassenem Ort? Blendende Helle schien plötzlich über Nesthäkchen ausgegossen zu sein.
    »Mein lieb's Weible wirst, gelt?« klang es innig an Annemaries Ohr.
    Noch ehe sie antworten konnte - Stimmen - »Hallo - hallo! - Neschthäkche -wo seid's?« Die Gefährten kamen zurück. Sie waren dem Leben wiedergegeben.
    »Hier- hierher!« Mit vereinten Kräften riefen die beiden.
    Lichter durchstachen die schwarze Nacht. Fackeln tauchten auf.
    »Hierher«
    »Also da seid's - heil und lebendig - ja, Neschthäkche, für so a Schwabestreich, da tue mer halt doch danke!« Krabbe, eine Pechfackel schwingend, war als erster am Platz.
    »Gottlob, Annemie, daß euch nichts geschehen ist.« In grenzenloser Besorgnis kam Hans hinterhergeeilt. Ola hing an dem Hals des Bruders, als ob er vom Tode auferstanden sei.
    Ilse weinte, Marlene umarmte Annemarie schweigend. Es war eine allgemeine Aufregung.
    Die Vermißten in der Mitte, so transportierte man sie ans Tageslicht zurück, damit sie nicht wieder abhanden kommen konnten.
    »I hab' nit anders denkt, Neschthäkche, als daß d' heut halt zum zweiten Mal eine Rutschpartie in den Bergsee 'nunter g'macht hascht.« Neumanns Karpfenaugen sahen noch melancholischer drein als sonst.
    »War auch auf dem besten Wege dazu, 's Nesthäkchen. Aber ich hab's halt wieder 'rausgeangelt«, lachte Rudolf.
    Nein, wie konnte der nur lachen, wo er soeben noch so gerade dem Tode entgangen war, dachte Ilse Hermann.
    Annemarie war merkwürdig still und nachdenklich. In vollen Zügen atmete sie die reine Luft, die ihr draußen entgegenströmte. Es goß wahre Bäche.
    »Mer müsse halt noch warte, bis es nit mehr so arg schütte tut«, schlug der Viehdoktor vor.
    »Gehn mer noch a bißle in die Höhle 'nein, hier draußen ischt's arg ung'mütlich«, stimmte Neumann bei.
    »Nein, nicht in die Höhle - keine zehn Pferde kriegen mich noch mal in das grausige Loch hinunter«, protestierte Ilse.
    »Gar so grausig fand ich's halt gar nit.« Rudolf machte ein scheinheiliges Gesicht, »'s war doch schön, gelt, Fräulein Annemarie?«
    »Gräßlich war's!« Aus tiefstem Herzen entrang es sich Annemarie. Jetzt, bei hellem Tageslicht, war die Glückseligkeit, die sie in Rudolfs Armen durchströmt hatte, plötzlich gewichen. Wie eine Bergeslast legte es sich ihr auf die Seele.
    Ach, wenn Hänschen gewußt hätte! Und die Freundinnen! Und was würde wohl Ola dazu sagen? Die ihr erst gestern mitgeteilt hatte, daß ihr Bruder nicht ans Heiraten denken dürfe.
    Hatte sie ihrem Vater nicht fest versprochen, seine Assistentin zu werden? Hatte er ihr nicht nur im

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