Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
gewesen. Die bildeten wieder eine unüberwindliche Kluft für ihn.
Und doch, eines Tages würde er sie fragen, ob sie bei ihm bleiben, ob sie seine Einsamkeit mit ihm teilen wolle - hier am blauen Meeresgestade - hier, wo einem das Herz so weit und frei war. Marlene atmete tief die herbe Salzluft. Sie hatte ihn lieb, den blonden Hünen mit dem Kindergemüt. Gerade, daß sein Wesen so wenig kompliziert war, so kristallklar wie das Meer, das hatte sie zu ihm gezogen.
Die Wünsche seiner Mutter gingen andere Wege. Das ahnte Marlene. Kürzlich erst hatte Tante Kätchen, die als ehemalige umsichtige Gutsfrau über die Unzulänglichkeit des Grotgenheider Personals jammerte, gemeint: »Hier gehört eine tüchtige Hausfrau her.« Dabei hatte sie Ilse angesehen, während Peters Augen Marlene gesucht hatten. Nun ja, sie war nicht annähernd so hauswirtschaftlich wie Ilse. Davon war keiner mehr überzeugt als sie selbst. Aber guter Wille und Intelligenz konnten doch jede Schwierigkeit überwinden. Vor allem, wenn man es jemand zuliebe tat. Waren das Schritte? Der weiche Sand verschlang sie. Meeresrauschen übertönte sie. Marlenes Herz klopfte schneller - sie wandte den dunklen Kopf nicht. »So, nu wirste dleich eindeflanst.« Eine Schaufel Sand flog ihr über die Beine. Die zweite - ehe sie es sich versah, waren Marlenes Hände und Füße von Sand bedeckt. Natürlich der Hansi, der sein Lieblingsspiel wieder mit ihr spielte. Da mochten Ilse und Annemarie nicht weit sein.
»Morgen, Marlenchen. Wir kommen heute wieder einen Posttag zu spät. Ilse hat sich mit den Kindern zu lange auf der Bleiche aufgehalten.« »Tante Ilse Ontel Tlaus bedießt, aber tüßtis«, berichtete Hansi.
»Hahaha ... wie ein begossener Pudel ist er vorhin auch an mir vorübergelaufen, der Klaus«, stimmte Annemarie in das Lachen ihres Sprößlings ein. »Eine Karte von Rudi hab' ich. Arg einsam sei' sihm daheim ohne seine böse Sieben und ihre Küken. Und darum ... Kinder, morgen kommt er - ach, ich freu' mich ja diebisch! Ja, sagt mal, Kinder, seid ihr denn alle beide stumm? Marlene sitzt da wie Iphigenie, das Land der Griechen mit der Seele suchend. Und Ilse macht ein Gesicht, als ob ihr alle Felle fortgeschwommen seien. Ach, mir geht ein Licht auf: Ihr habt euch beide verkracht, Kinder. Na, denn gute Unterhaltung miteinander. Ich ziehe die der Fische der eurigen noch vor.« Lachend warf Annemarie ihren Bademantel, den sie über dem Arm hatte, in den Sand, streifte ihr loses Strandkleid ab und stand gleich fix und fertig im blauen Badeanzug, den sie darunter trug, da. Einige Sekunden später spritzten ihr schon die Wellen über das Goldhaar.
Ilse und Marlene streckten sich in den warmen Sand, während Hansi sich geschäftig ans Werk machte, sie einzuschaufeln. Marlene äugte strandauf, strandab. Nirgends die Hünengestalt Peters. Auch Ilse ließ ihre Augen umherwandern. Schien doch wirklich verknurrt, der Klaus. Sonst pflegte er sich immer in der Mittagsstunde einzustellen und mit den Kindern allerlei Dummheiten zu treiben.
»Du, Ilse«, Marlene lachte leise, »sind wir vielleicht wirklich miteinander böse, ohne daß wir es wissen? Wir reden doch keinen Ton miteinander.«
»Ihr derft dehaupt niß heden«, protestierte der im Schweiße seines Angesichts schaufelnde Hansi.
»Der Junge wird sicher mal Totengräber.« Auch Ilse mußte wieder lachen. Ach was, Grillen fangen! Die spülte man am besten mit Meerwasser ab. Eins, zwei, drei hatte auch sie ihr Kleid abgeworfen, und mit einigen langen Stößen war sie neben Annemarie, obwohl sie dieser noch soeben versichert hatte, sie hätte gar keine Lust zum Baden. Die kühlen Wellen taten ihrem heißen Kopf gut. Solch eine kalte Dusche war wirklich nicht so übel. Klaus brauchte gar nicht zu knurren.
Droben in den Dünen frohlockte Marlene. So - nun konnte Peter Frenssen kommen. Aber er kam nicht. Erst mittags bei Tisch löste sich das Rätsel. Rike, das Mutterschwein, war erkrankt. Das gab große Aufregung in Grotgenheide. Mit Staunen nahm Marlene wahr, daß selbst solch ein Schwein zarte Gefühle in den Hintergrund drängte. Peter saß mit gefurchter Stirn da. Nein, es kam ihr doch wirklich zu komisch vor. Sie konnte das Lachen nicht zurückhalten.
»Sie freuen sich ja so, Marlene.« Peters Interesse galt also nicht mehr nur dem Schwein. »Nehmen Sie' smir nicht übel, Peter; aber ich finde es so drollig, daß Sie alle mit so sorgenvollen Mienen dasitzen, als sei ein naher Angehöriger erkrankt.«
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