Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
sich Anita sachlich.
»Nein, das ist ein Tischchen, in dem ich meine Nähsachen habe, an dem ich sitze und arbeite«, erklärte die Großmama.
»Vornehmes Dame in Brasilien hat nicht Nähtisch.«
»Und wer näht dort, wer bessert etwas aus?«
»Wird nicht gebessert, wird getan fort, kauft man neu.«
»Und wenn man kein Geld dazu hat?«
»Muß man verdienen Geld.«
Die Großmama lachte. »Ei, Anita, das sollst du mir einmal vormachen, wie du Geld verdienen willst, wenn du nichts verstehst als nur die vornehme Dame zu spielen.« »Muß man heiraten reiches Mann.« Auch das war für Anita etwas ganz Selbstverständliches.
»Ja, Kind, da haben wir hier in Europa eben ganz andere Anschauungen. Wir bessern lieber unsere Sachen aus, als daß wir einen Mann nur seines Geldes wegen heiraten. Aber nun haben wir genug geschwatzt. Jetzt sollt ihr eure Sachen auspacken. Eure alte Großmama braucht ein Stündchen Ruhe.« Sie nickte den Enkelinnen liebevoll zu. »Wir haben junges Großmama, nicht altes.« Marietta sah sich noch einmal in dem Biedermeierzimmer um. »Kleines Stube ist lieb, ich werde kommen besuchen Großmama oft.«
»Ja, das tu, mein Liebling.« Während sich Frau Annemarie auf ihrem grünen Ripssofa unter der Ahnengalerie ausstreckte, dachte sie: »Marietta hat doch mehr deutsches als amerikanisches Blut in den Adern.«
Inzwischen waren die jungen Mädchen in den Garten hinausgetreten. Die Mailuft war köstlich. Die Sonne schien warm und golden.
»Es ist kalt in Deutschland.« Anita fröstelte. Sie sprach wieder portugiesisch.
»Es ist wie im Winter in Brasilien, Nita. Ich finde es angenehmer als die Tropenhitze. Aber nun komm. Wir müssen unsere Sachen auspacken.«
Anita warf sich in einen Lehnstuhl, der mitten auf dem Rasen zwischen Gänseblümchen in der prallen Sonne stand. Es war noch derselbe, auf dem ihre Mutter als Mädchen so gern geruht hatte.
»Oh, moito bonito! Hier ist gut, hier ist warm.«
»Anita, wir werden mit dem Auspacken nicht fertig«, drängte Marietta.
»Homer kann auspacken. Homer und die Miß sollen es tun.«
»Großmama wird nicht damit einverstanden sein, Nita. Sie ist so lieb. Wir wollen sie doch nicht betrüben.« Das junge Mädchen rührte sich nicht. Marietta zögerte, überlegte, und dann fügte sie schnell hinzu: »Gut, wenn du nicht mitkommst, gehe ich allein.« »Du gehst allein, Jetta?« Anita sah so erstaunt und mißbilligend drein, als hätte ihr die Zwillingsschwester die Mitteilung gemacht, allein nach dem Nordpol reisen zu wollen. Sie waren gewöhnt, alles gemeinsam zu tun. Wo die eine war, blieb auch die andere. Marietta tat stets das, was Anita wünschte. Und nun wollte die Schwester plötzlich eigene Wege gehen - war das die deutsche Luft, die sie so veränderte?
»Schön, ich komme mit. Aber ich sehe nur zu und ordne an, wie unsere Mammi das auch tut«, überlegte Anita, sich erhebend.
Homer war ein anstelliger, kleiner Kerl. Er half Kunze ein Gitterhäuschen für Jimmy bauen. Denn diesem war sein enger Reisekäfig längst unbehaglich. Der Vierhänder war im Tropenland an größere Freiheiten gewöhnt. Er rüttelte an den Stäben und schien von Europa, obwohl in der Küche beinahe Tropenwärme herrschte, durchaus nicht begeistert. Homer öffnete gutmütig die Tür zu seinem Gefängnis. Mit einem Satz war Jimmy draußen und auf der Schulter des jungen Mulatten.
Lottchen, die Frau Trudchen Löffel, Gabel und Quirle abtrocknen half, machte ein erschrecktes Gesicht. Sie hatte vor dem Äffchen Angst. Auch Frau Trudchen blickte mit Mißbehagen auf ihn. »Kunze, sperr ihn wieder ein, das Biest. Es ist mir unjemietlich, wenn es mir so anblinzelt.«
»Jotte doch, so 'n harmloses, kleines Tierchen. Hab' dir doch nicht, Olle. Sieh bloß mal, wie drollige Jrimassen es schneidet. Der tut doch nischt. Lotteken, du brauchst keine Angst nich zu haben », versuchte Kunze seine Ehehälfte und das kleine Mädchen zu beruhigen. Er bastelte weiter an Jimmys Palast. Frau Trudchen spritzte ärgerlich mit dem Spülwasser.
»Kunze, du hast auch nischt weiter als Flausen in dein ollen Kopp. Nimm dich lieber 'n Handtuch und hilf mich das Jeschirr Überseite bringen. Spät jenug is 's nu jrade. Anstatt dir mit Affen abzujeben.«
Frau Trudchen kam nicht weiter in ihrer ärgerlichen Rede. Denn durch das stille Haus läutete es plötzlich Sturm.
»Herreje, wer macht denn jetzt so 'n Höllenradau, wo unser Jeheimrat und die Jeheimrätin sich 'n bißchen aufs Ohr jelegt haben!«
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