Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
Großmama. Hat müde, muß ruhen«, widersprach Marietta eifrig.
»Und wer wird auspacken?«
»Wir.« Mariettas dunkle Augen suchten die der Schwester. Nur einen Augenblick schwankte diese. »Gut, wir werden packen aus. Großmama kann gehen zu schlafen.« Obgleich Frau Annemarie wohl mit Recht nicht allzuviel Vertrauen zu dem Ordnungssinn der Enkelinnen hatte, obgleich ihr der Schlaf inzwischen ziemlich vergangen war, hielt sie es doch für geraten, Anitas Nachgiebigkeit zu entsprechen.
»Also gut, räumt alles schön ordentlich ein, meine Mädel. Ich lege mich noch ein wenig hin, ich brauche Ruhe.«
Frau Annemarie konnte mit ihrem ersten Erziehungserfolg zufrieden sein.
Tropenkinder
Eine Woche war seit dem Einzug der Tropenkinder in das großelterliche Haus dahingegangen. Sie hatten die stille Geheimratsvilla auf den Kopf gestellt. Nicht einmal damals, als alle drei Hartensteinschen Küken noch im Haus herumtobten, hatte es soviel Unruhe gegeben wie jetzt.
Frau Annemarie mußte sich erst wieder an die Unruhe gewöhnen, die die Jugend um sich verbreitete. Sie faßte sich manchmal an ihren Kopf - Himmel, war sie denn schon so alt, daß sie das nicht mehr vertragen konnte? Sie selbst war doch in ihrer Jugend ein recht lebhaftes Mädel gewesen in Gemeinschaft mit den Brüdern, besonders mit Klaus. In ihrem Elternhause war es ganz gewiß nicht leise zugegangen. Auch im eigenen Heim später hatten ihre Küken reichlich für Abwechslung gesorgt. Und doch erschien es Frau Annemarie, als hätte sie niemals eine unruhigere Woche verbracht als die vergangene. Ihr Mann empfand das weniger. Den führte sein Beruf den größten Teil des Tages von Hause fort. Kam er dann heim, dann empfand er nur Freude an den jugendlichen Hausgenossinnen. Gewiß, Anita war ganz besonders lebhaft und impulsiv. Nie zur Ruhe kommend. Jederzeit mit tausenderlei Wünschen, Anliegen, Anforderungen an ihre Umgebung. Ohne jede Rücksichtnahme, jeder augenblicklichen Eingebung nachgebend. Nicht daran gewöhnt, sich auch nur den kleinsten Wunsch zu versagen um eines anderen willen. Anita war eine recht schwierige junge Dame; es war nicht so einfach, sie zu beeinflussen und zu erziehen. Das war der Großmama bereits am ersten Tag klar geworden.
Auch Marietta war trotz ihrer weicheren, anschmiegsameren Natur durchaus keine bequeme Hausgenossin. Alle beide waren sie maßlos verwöhnt. Frau Annemarie vermochte nicht einmal den Enkelinnen, noch deren Mutter daraus einen Vorwurf zu machen. Das lag eben an den völlig anderen Verhältnissen in der heißen Zone und der luxuriösen Lebensart des reichen brasilianischen Kaffeekönigs. Ursel hatte klug gehandelt, daß sie den mit den Gepflogenheiten der jungen Mädchen vertrauten Negerjungen mit nach Europa herübergeschickt hatte. Frau Trudchen, deren Beine auch nicht mehr die jüngsten waren, wäre allein den Anforderungen des jungen Besuches gar nicht gewachsen gewesen.
Da galt es morgens die Bäder zu bereiten, denn das tägliche lauwarme Bad war den Kindern eine selbstverständliche Notwendigkeit.
»Is man jut, daß der liebe Jott wenigstens den Mohr und den Affen schwarz erschaffen hat, sonst könnten wir für die auch noch Badewasser machen, Kunze«, ließ Frau Trudchen ihrem Unmut freien Lauf. Erschienen die jungen Mädchen nach dem Bad dann endlich am Frühstückstisch, so war die gemeinsame Frühstücksstunde der Großeltern längst vorüber, obwohl man auch in Brasilien im Tavaresschen Hause früh aufgestanden war. Jeden Abend gab es einen Kampf, weil die beiden Mädel nicht ins Bett zu bekommen waren. »Wir haben noch nicht müde, in Brasilien ist noch nicht Zeit zu schlafen gehen, wir werden noch tun dies und das«, setzte sich Anita mit der ihr eigenen Bestimmtheit der Hausordnung entgegen. Geheimrat Hartenstein hatte sich mit den Jahren in gewissem Sinne zum Pedanten entwickelt. Sein anstrengendes Tagewerk verlangte frühe, regelmäßige Schlafenszeit. Punkt zehn Uhr war es Nacht in der Geheimratsvilla in Lichterfelde. Die hellen Fensteraugen schlossen sich wie die der Bewohner. Jetzt war das anders. Stundenlang brannte noch das elektrische Licht. Bald im Wohnzimmer, bald im Eßzimmer, bald oben in dem Mädchenstübchen, während die Miß schon laut schnarchte. Oft bekamen Anita und Marietta auch noch einmal Hunger, da ihnen die große Abendmahlzeit, an die sie daheim gewöhnt waren, fehlte. Dann klingelte Anita, unbekümmert um Mariettas Einwände, daß die Großeltern in ihrer Ruhe
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