Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar
freuen. Da waren sie ja auch schon, die Kusinen und Vettern. Sie hatten Mariettas Einladung nicht vergessen, kamen gerade recht zum Aufbau. Und Tante Ruth hatte verheißungsvolle Tüten im Arm mit Pfefferkuchen und Marzipan.
Still - klinglinglingling - eine Klingel ertönte ... »Jetzt kommt Knecht Ruprecht auf seinem Schlitten an« - Kätchen flüstert es scheu dem größeren Bruder Martin zu. »Quatsch!« sagt der sehr von oben herab. Aber was ist das? Selbst Martin ist es nicht recht geheuer zumute. Da steht ja leibhaftig der Knecht Ruprecht in seinem Pelz, mit langem, weißem Bart, in dem noch Eiszapfen hängen. Einen großen Sack hat er auf dem Rücken und - o Schrecken! - eine Weihnachtsrute mit bunten Papierfähnchen in der Hand. »Sind die Kinder hier brav?« fragte Knecht Ruprecht mit Baßstimme, die einen fremdländischen Anklang hat. Aber das ist ja gar nicht weiter verwunderlich, da er doch aus dem Wolkenland stammt.
Keine Antwort. Ängstlich verkriechen sich auch die mutigsten hinter dem schützenden Rock der Mutter.
»Die meisten sind brav. Aber manche sind auch öfters unartig.« - Pfui, Tante Martha petzt schon wieder!
O weh - Knecht Ruprecht macht kehrt. »Ja, wenn die Kinder hier nicht brav sind, dann gehe ich ein Haus weiter ...«
»Nein - nein - hierbleiben - wir wollen ja ganz artig sein«, klingt es höchst jämmerlich. Knecht Ruprecht muß ein weiches Herz haben. Er bleibt sofort stehen. »Könnt ihr auch ein Weihnachtsgedicht hersagen?« fragt er wieder mit seinem tiefsten Baß. Stumm bleibt alles. Eins schiebt das andere nach vorn. Keines traut sich heraus. »Ja, dann muß ich wohl weitergehen ...« Da fühlt sich der kehrtmachende Weihnachtsmann an seinem Pelz fest- ganz festgehalten. Viele kleine Hände sind es, die an seinem Rock zerren, und im Chor klingt es jetzt laut:
» Ist das heut ein Gebimmel
Beim lieben Gott im Himmel.
Knecht Ruprecht steht am Telefon
Den ganzen Tag seit morgens schon. «
Ach Gott - ach Gott, wie geht's denn nur weiter? Keiner weiß, wie's weitergeht. Alle haben sie vor Aufregung das Gedicht, das Tante Jetta so schön mit ihnen gelernt hatte, vergessen. Aber, was ist das? Knecht Ruprecht tut den Mund auf, hilft selber weiter:
» Denn von der Erde klingeln an
Die Kinder bei dem Weihnachtsmann. «
Gar nicht mehr so tief gebrummt klingt's, ganz hell, eigentlich beinahe so, als ob Tante Jetta spricht und - »Knecht Ruprecht ist ja überhaupt Tante Jetta!« Jubelnd umdrängen die Kinder plötzlich den Weihnachtsmann. Aber der schüttelt seine Rute: »Wer sein Gedicht nicht kann, kriegt nichts aus meinem Sack!« Da können sie mit einem Male alle weiter, es geht wie geschmiert, und nun - ein Regen von Äpfeln, Nüssen und Pfefferkuchen ergießt sich aus Knecht Ruprechts Sack über die jauchzenden Kinder. Und kaum hat man aufgerafft, soviel man nur fassen kann, da geht's zum zweiten Mal »klinglinglingling«. Die Tür zum Nebenzimmer, in dem sonst die Kleinen in ihrem Laufgitter herumkrabbeln, tut sich auf - das ist doch nicht das bekannte Zimmer - das ist bestimmt das Weihnachtsland, von dem Tante Jetta erzählt hat. Tannengrün und Lametta, wohin man blickt. Und der riesengroße Weihnachtsbaum, der mit so vielen Lichtern brennt - es sind sicher hundert oder gar tausend - daß man gar nicht recht die Augen aufmachen kann. Aber die Ketten und Körbchen, die daran wachsen, die kennt man, und »Das scheene Silbernetz da oben hab' ich ganz alleine jeflechtet!« schreit Paulchen, heute zu Ehren des Weihnachtsabends mit schön geputztem Näschen, selig dazwischen. Man hat Zeit, um die Augen an all die Herrlichkeit zu gewöhnen. Musik erklingt - singen die Englein oben im Himmel? Nein, es ist nur Tante Hildes Geige, und da fallen sie alle ein, die Kleinen, in das Weihnachtslied »Ihr Kinderlein kommet«.
Und nun war endlich Bescherung. Jedes Kind wurde zu seinem Platz geführt. Jubelnde Kinderstimmen erklangen aus dem Lichterwald wie süßer Vogellaut.
»Tante Jetta, Tante Jetta, ich habe 'nen Baukasten« - »Und ich 'r Märchenbuch, aber 'n feines« - »Und kiek bloß mal die scheenen Schuhe, die kosten ville Jeld« - »Tante Jetta, mein Kaufmannsladen, das ist das allerscheenste, da kann Mutter immer kaufen kommen, wenn se mal kein Jeld hat«, überschrie der dicke Gustel selig die andern. Mariettas Kusinen und Vettern hatten ebenso glückliche Augen wie die beschenkten Kleinen. Die Kinder aus reichem Hause hätten nie gedacht, daß ihre abgelegten Sachen und
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