Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar
sonst Spaß«, begütigte die Großmama und fuhr ablenkend fort: »Was habt ihr uns denn für Riesenpakete mitgebracht, Ruth? Es ist doch noch nicht Weihnachten.«
»Aber bald. Marietta hat um abgelegte Sachen und Spielzeug für ihre Hortkinder gebeten.« »Wie nett von euch, Tante Ruth.« Marietta tat ihre Abweisung schon wieder leid. »Das größte Paket habe ich geschleppt, was bekomme ich denn dafür?« wandte sich Onkel Hans wieder an seine Nichte.
»Einen schönen Dank.« Die großen, schwarzen Augen sahen ihn wieder freundlich an. »Damit ist's nicht getan - unter einem Kuß mache ich' nicht. Oder ist sich Donna Tavares auch dazu zu schade?«
»Nein, Onkel Hans.« Und sie gab ihm einen herzlichen Versöhnungskuß. Die Kinder hatten nun aber wirklich ihr möglichstes beim Vertilgen des Mohnkuchens geleistet. »Jetzt wollen wir spielen«, hieß es.
»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Bringt die Pakete herein, Kinder«, ordnete Tante Vronli an. »Wir wollen durchsehen, was davon brauchbar ist. Ich habe auch Bedarf für meine armen Kinder.«
»Och, das ist ja langweilig«, meinte der Backfisch Lilli und setzte sich ans Radio, wo es gerade eine Märchensendung gab.
»Ich werde es einstellen, das verstehen Mädel nicht.« Edchen, der bedeutend jüngere, war Fachmann. Er hatte zu Hause eine Anlage mit Dachantenne selbständig angelegt. »Der Junge muß mal Ingenieur werden.« Professor Ebert sah ihm anerkennend zu. »Nee, ich werde Geheimrat und Professor wie mein Großpapa«, rief Edchen. »Nimm dir' nur gut vor, Büble. Aber du mußt halt nicht von hinten anfangen. Erst kommt der Doktor«, lachte der alte Geheimrat, der bisher etwas mißtrauisch auf Edchens Ingenieurkünste geblickt hatte. »Schau, Hansi«, wandte er sich an den Sohn, »am End' bekomm' ich doch noch mal einen Nachfolger in deinem Jungen.« Es war für den bedeutenden Arzt eine große Enttäuschung gewesen, daß sein Sohn Hans nicht in seine Fußstapfen getreten war.
»Edchen wird sich's noch überlegen. Aber wie ist's denn, spielen wir denn nun heute oder nicht?« Hans Hartenstein mischte die Skatkarten. Die Damen hatten inzwischen die umfangreichen Pakete einer eingehenden Musterung unterzogen, Wäsche, Kleider, Spielzeug und Bücher gesondert. Hartensteins konnten es sich leisten, manches noch recht brauchbare Stück zur Armenbescherung zuzusteuern. Und Tante Ruth hatte ein gutes Herz.
»Diese feinen Leinenhemden könnte ich gut als Erstlingshemdchen für meine Säuglinge gebrauchen. Wenn man sie zuschneidet und näht, gibt es mehrere Dutzend«, überlegte Gerda praktisch.
»Hier wäre ein hübsches Sonntagskleid für unser Lenchen im Kinderhort. Etwas zu lang ist es sicher noch. Aber das läßt sich umnähen«, meinte Marietta erfreut.
»Sieh nur mal, Jetta, die netten Schürzen«, rief die Großmama dazwischen.
»Die blauen Hosen bekommt Ottchen, und den Kaufmannsladen muß Gustel haben. Leider ist er schon etwas baufällig.«
»Wie wär's denn, wenn wir uns gleich an die Arbeit machten? Besser könnten wir den Sonntag doch gar nicht zubringen«, schlug Tante Vronli vor.
»Nee, och nee, wir wollen lieber spielen«, lehnten sich die jungen Herrschaften auf.
»Das können wir ein ander Mal. Kommt nur her, ihr müßt alle helfen. Wenn man jemand eine Freude machen will, muß man alles in gutem Zustand verschenken. Am Tisch ist das Schneideratelier. Ihr Mädel, auch Lottchen, könnt euch dabei beteiligen. Seht mal, hier sind Babyjäckchen, die müssen frisch behäkelt werden. Wer will das übernehmen?«
Marietta zeigte ihre Befähigung zur Jugendleiterin.
»Ich!« - »Nein ich!« Lotte und Evchen überschrien sich.
»Also Evchen darf die Babyjacken umhäkeln. Für Lottchen findet sich noch Arbeit, die Evchen noch nicht versteht. Du kannst doch schön Strümpfe stopfen, Lottchen. Komm her, hier gibt' genug Löcher.« Marietta wies auf einen großen Berg Kinderstrümpfe. Lotte zog ein Gesicht. »Stopfen ist ja langweilig ...«
»Wenn man seine eigenen Strümpfe stopfen muß, mag es vielleicht manchmal etwas langweilig sein«, stimmte Frau Annemarie lachend zu. »Aber wenn man es für arme Kinder tut, die sonst frieren müssen, macht es sicher Freude.«
Da griff Lottchen beschämt zu den Strümpfen. Wenn »Tante Geheimrat«, wie Lotte die alte Dame nannte, etwas wünschte, folgte sie sofort. Gerdas Schere fuhr bereits in den Leinenhemden herum. Frau Vronli als Meisterin richtete die Näharbeiten ein und übergab sie dann zur
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