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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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krummen Beinchen ihn nur tragen wollten. »Sette - Sette!« Ottchen hatte sie erkannt.
    »Hat man dich ganz allein hier im Dunkeln gelassen, armes Kerlchen?« fragte Marietta mitleidig und steckte ihm einen großen Pfefferkuchen in den Mund. Oh, das verstand Ottchen. Wintermantel und Höschen machten wenig Eindruck auf ihn. Dagegen war er von der Trompete ganz begeistert. Marietta stellte das brennende Bäumchen auf den Tisch und breitete unter ihm die Gaben aus. Da merkte sie erst, daß noch mehr Bewohner außer Ottchen anwesend waren. Das Wimmern eines kleinen Kindes kam aus einer anderen Ecke. Dort lag in einem Korb ein elendes Würmchen und lutschte wütend am Fingerchen. Sicher hatte es Hunger. Nirgends ein Tropfen Milch. Marietta nahm das schreiende Bündel auf den Arm und schaukelte es hin und her, bis es sich ein wenig beruhigte. Sie mußte ja wieder gehen. Lottchen wartete und auch die Großeltern daheim. Aber Ottchen allein mit dem brennenden Baum lassen - das war unmöglich.
    Da kamen Schritte die Treppe herab. Langsam und schwer. Der Bäcker hatte kein Brot mehr gegeben, erst solle sie die anderen bezahlen. Sie öffnete die Tür - ja, was war denn das? War ein Engel vom Himmel heruntergekommen? Weihnachtskerzen brannten - Geld und Eßwaren lagen auf dem Tisch. Und daneben stand ein Engel - so erschien es der armen Mutter - wiegte ihr Kleines und sprach freundliche Worte. Da löste sich die stumpfe Gleichgültigkeit, mit der sie das Jammerleben ertragen hatte, Tränen lösten die Starrheit. Weihnachtslicht erwärmte ihr Herz.
    Es war spät, als Marietta und Lottchen endlich wieder Lichterfelde erreicht hatten. Das Nebelgrau der Stadt war hier draußen zerflossen. Droben am Himmel hatte man inzwischen auch die Weihnachtskerzen angezündet. Wie das blitzte und mit tausend und aber tausend Lichtlein herabfunkelte. Der alte Geheimrat wurde ungeduldig. Alle fünf Minuten zog er seine Uhr, er brummte und knurrte. Gleich halb sieben - so spät hatte man noch nie beschert. Was fiel denn dem Mariele ein, so lange auf sich warten zu lassen. Dachte nur an ihre Schützlinge da im Hort und nicht an die alten Großeltern, die doch wirklich eine gewisse Rücksicht beanspruchen konnten. Am liebsten würde er halt mit der Bescherung beginnen - aber er dachte gar nicht daran, der alte Herr. Er zog weiter die Uhr und brummte weiter.
    Die Großmama mußte das ganze Geschütz ihrer Beredsamkeit auffahren lassen, um ihn zu besänftigen. Ach, so eilig hatten sie es doch gar nicht mit der Bescherung, sie hatten doch keine kleinen Kinder mehr, die ins Bett mußten. Ja, aber merkwürdig war's doch, daß die Jetta so lange ausblieb. Es wird doch nichts passiert sein ... und die Großmama blickte ebenso oft nach der Uhr wie ihr Mann. Nur noch etwas besorgter.
    Immer unruhiger wurde Frau Annemarie. Zum soundsovielten Male öffnete sie die Tür zu dem Weihnachtszimmer nebenan, um zu prüfen, ob dort alles in Ordnung wäre. Die herrliche Blautanne stand kerzengerade und das Krippchen hatte sein Licht. Das Pelzjackett für Marietta lag tadellos, und der seidene Regenschirm neben der neuen Goethe-Ausgabe bedurfte auch keiner Verbesserung. Der Schlafrock für ihren Mann war wirklich mollig, er hatte ihn sich verdient. Sein Vorgänger stammte noch aus den ersten Jahren ihrer Ehe. Hier Kunzens Aufbau. Was Lottchen wohl zu der Armbanduhr sagen würde. Ihr Mann fand zwar wieder, sie verwöhne das Kind zu sehr. Aber gerade am Weihnachtsfest hatte Frau Annemaries warmes Herz den Wunsch, dem Waisenkind eine besondere Freude zu machen. Helle Stimmen - gottlob, da waren sie.
    Und dann flammten auch bei Geheimrats die Weihnachtslichter auf und warfen ihren goldenen Zitterschein hinaus in den schweigenden Garten. Dann saß Marietta am Flügel und sang, wie einst ihre Mutter, das Weihnachtslied. Und dann standen die alten Leutchen neben ihrem »Kinde«, glücklich in dem Bewußtsein, ihm Freude zu bereiten. Wie konnte sich Marietta aber auch freuen. Nicht so laut wie Lottchen, die mit der Uhr ganz selig war. Nicht so wortreich wie Frau Trudchen, die jedes Stück einer ebenso eingehenden wie dankbaren Prüfung unterzog, um dann zu versichern: »Aber das wäre doch jar nich nötig jewesen.« Auch nicht wie Vater Kunze, der im Laufe der vielen Jahre seinem Chef, dem Geheimrat, so manches, auch die Wortkargheit, abgeguckt hatte und nur hin und wieder ein schmunzelnd anerkennendes »Is ja janz schoneken!« hören ließ. Nein, Mariettas Freude war ganz

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