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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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das ausrangierte Spielzeug noch solche Freude verursachen konnten. Wie gut, daß man alles so schön instand gesetzt hatte. Es machte beinahe mehr Freude, das Glück all der armen Kinder zu sehen, als selbst etwas geschenkt zu bekommen. Lottchen stand neben Lenchen, die heute ein richtiges Haarband im Zöpfchen trug. Sie hielt ihr Evchens rotes Kleid an. »Freust du dich über das schöne Kleid?« fragte sie freundlich.
    Lenchen nickte nur stumm. Sie konnte vor Seligkeit nicht sprechen. Liebevoll strich sie über das feine Kleid, streichelte auch mit den Augen das rote Haarband und die schöne Schulmappe. Aber Lenchens Mutter, eine trotz der einfachen Kleidung nett aussehende Frau, meinte dankbar: »Wie gut von Ihnen, daß Sie meinem Lenchen solche Freude machen.«
    Lotte wurde rot, daß man sie mit »Sie« anredete. »Ich kann ja gar nichts dafür«, wehrte sie bescheiden ab, sich zu Lenchens Mutter wendend: Da wich ihr alle Farbe aus den Wangen. Mit weitaufgerissenen Augen starrte sie die freundliche Frau an. Das Blut drängte ihr zum Herzen, Tränen stiegen ihr heiß in die Augen. Kam die Mutter wieder am Weihnachtsabend? So - gerade so hatte die Mutter ihr Lottchen angeschaut, bevor sie in der jämmerlichen Hütte drüben in Amerika krank geworden war. So hatte sie ausgesehen - nein, doch nicht. Muttels Haar war heller gewesen, die Frau hier hatte ja braunes Haar. Und auch die Augenfarbe war eine andere, und doch etwas Bekanntes grüßte das Mädchen aus den Augen der fremden Frau. Es war wohl das Mütterliche, das warm daraus blickte. »Muttel, sieh nur mal, die schöne Schulmappe.« Wie drollig, Lenchen nannte ihre Mutter auch Muttel, geradeso wie Lottchen es einst getan hatte. Kein anderes Kind hier sagte so. »Ob der Weihnachtsmann gewußt hat, daß ich deine alte Einkaufstasche Ostern als Schulmappe nehmen sollte?«
    Drüben bei Paulchen und Hermännchen stand Marietta. Sie probierte Paulchen das Jäckchen an, stülpte Hermännchen die Rodelmütze auf den Krauskopf und band ihm den warmen Wollschal um den Hals. Sie blickte zu dem andern Ende der Tafel - wie merkwürdig! Lottchen bückte sich gerade zu Lenchen herab, um ihr die Schulmappe umzuschnallen. Nein, wirklich merkwürdig, wie die Natur manchmal Ähnliches schafft. Dieselben breitgezeichneten Augenbrauen bei beiden Kindern, dasselbe Stupsnäschen und auch das Haar beinahe von der gleichen semmelblonden Farbe. Marietta hatte keine Zeit, langer Studien zu machen, denn Kätchen zerrte an ihrem Rock: »Tante Jetta, meine süße neue Puppe soll so wie du heißen.«
    Und nun waren all die herrlichen Gaben in Mutters umfangreichen Korb gewandert. Das schönste Stück aber gaben sie nicht her, die Kleinen. Das behielt jedes liebevoll im Arm. Nun waren all die »Danke auch vielmals« - »Scheenen Dank auch« - »Karlchen, haste dir auch scheen bedankt?« verklungen. Tante Ruths umfangreiche Tüten waren mit erstaunenswerter Schnelligkeit noch zum Schluß gestürmt worden. Und nun liefen sie alle davon, die vielen Kinderfüße, so eilig, wie sie gekommen waren, um daheim dem Vater oder auch der Großmutter ihr Glück zu zeigen.
    Lenchens Mutter trat an Marietta heran und reichte ihr die Hand. »Der liebe Gott lohnt es Ihnen, liebes Fräulein, was Sie unsern Kindern Gutes tun. Lenchen ist ja ganz glücklich, wenn sie in den Hort zu Tante Jetta darf.«
    Marietta blickte in das blasse Gesicht der Frau, auf dem Sorge und Entbehrung deutlich ihre Zeichen geschrieben hatten.
    »Haben Sie auskömmliche Arbeit, Frau Neumann?« erkundigte sie sich teilnehmend. »Es ist augenblicklich mit Schürzennähen nicht viel zu verdienen, Fräulein. Noch dazu mit Heimarbeit. Die meisten Geschäfte haben eigene Fabrikation. Ich bin eigentlich Schneiderin. Früher ging's ganz gut. Aber jetzt kaufen die Leute alles billiger in den Warenhäusern. Und fort von Hause kann ich nicht. Unsere Großmuttel, die seit dem Tode meines Mannes zu uns gezogen ist, ist auf einem Bein gelähmt und kann nicht mehr den Haushalt führen.« Die Frau seufzte kaum merklich.
    Es zuckte Marietta in der Hand, in die Tasche zu greifen und der Not auf ein Weilchen zu steuern. Aber sie hatte inzwischen gelernt, sich nicht gleich vom ersten Impuls hinreißen zu lassen, auch den Verstand, nicht nur das Herz, beim Wohltun zu Rate zu ziehen. »Ich will zusehen, ob ich Ihnen durch unsere soziale Arbeiterhilfe nicht lohnendere Beschäftigung verschaffen kann, Frau Neumann«, versprach sie bereitwillig. »Inzwischen

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