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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Meer. Das ist die Waterkant mit ihrer Weite, ihren fruchtbaren Feldern. Oh, Marietta kann verstehen, daß einem in den Tropen drüben die Sehnsucht kommt nach diesem Stück kraftvoller Heimaterde. »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin«, erklang es in etwas plärrendem Kinderchor hinter der in die Dämmerlandschaft hinausträumenden Marietta. Die Berliner Kinder verleugneten ihre Abstammung nicht. Wenn der Berliner am heitersten ist, singt er die sentimentalsten Lieder. Das massive Herrenhaus zu Lüttgenheide hatte im Laufe der Jahre wenig Änderungen erfahren. Altersgrau und anspruchslos lag es wie ein Riesenkoloß, umgeben von neuen Scheunen und Stallungen, denn was ein echter, rechter Gutsherr ist, der baut für sein Vieh und nicht für die Menschen. »Das Schloß« hieß es im Munde der Dorfleute. Daran erinnerte aber nur noch der verwitterte Turm. Wilde Kletterrosen gaben sich redlich Mühe, die Fassade des Hauses freundlicher und einladender zu gestalten.
    Der Lüttgenheider Wagen hielt; während das zweite Gefährt mit winkenden Abschiedsgrüßen dem zwanzig Minuten entfernten Grotgenheide zurollte. An dem runden Tisch, der um den Stamm des alten Nußbaumes gezimmert war, hielt man Feierabend. Da saßen Großvating und Großmutting, oder wie Marietta sie nannte, »Onkel Klaus und Tante Ilse«. Der alte Herr mit den noch immer verschmitzten braunen Augen hatte ein von Luft, Sonne und Meer gerötetes, wenn auch ziemlich verwittertes Gesicht. Großvating rauchte wie immer seine Pip Tobak. Die gehörte zu ihm wie das Strickzeug zu Großmutting. Frau Ilse war im Laufe der Zeit tüchtig in die Breite gegangen, etwas rundlich war sie ja schon immer gewesen. Aber, daß ihr Mann behauptete, sie wäre nun bald so breit wie lang, das war entschieden Übertreibung. Die Schwiegertochter, eine helläugige Holsteinerin, ordnete das soeben vom Spalier abgenommene Obst in eine Glasschale. Während Annemie, das dreijährige Nesthäkchen, mit dem großen Hofhund Pluto dem Ball nachjagte.
    »Da sind ja die Lütten schon.« Großmutting ließ das Strickzeug auf den Tisch gleiten und war mit einer bei ihrer Fülle erstaunlichen Behendigkeit schon am Hoftor. Langsamer folgte die Schwiegertochter, während Großvating sich nicht von seiner Bank rührte. Nur etwas dickere Rauchwolken stieß er zur Begrüßung der kleinen Gäste aus seiner kurzen Pfeife. Eigentlich war er gar nicht so sehr einverstanden mit der Aufnahme der Ferienkinder. Er liebte seine Ruhe, und die Enkel sorgten schon gerade genug für Abwechslung.
    »So, Mutting, da hätten wir das Berliner Lüttzeug.« Der Gutsbesitzer sprang vom Wagen und half einer neben ihm sitzenden jungen Dame herab.
    »Die Leiterin der Ferienkolonie, Fräulein ...«, aber er kam mit seiner Vorstellung nicht weiter. Schon war die junge Dame der verdutzten alten Dame um den Hals geflogen: »Tante Ilse - tausend Grüße von der Großmama.«
    Großmutting wußte nicht, wie ihr geschah. »Jetta, Dirn, bist du's denn wirklich? Nein, was bist du groß und schön ...«
    »Is man immer noch ne lütte, smucke Dirn. Viermal kann man sie in dich hineindividieren, Mutting«, neckte Peter. »Lising, was sagst du zu der Überraschung? Du kennst doch Marietta Tavares noch?«
    »Freilich kenn' ich die Jetta.« Mit ruhiger, aber warmer Freundlichkeit begrüßte die Frau des Hauses den unerwarteten Gast. Dann kamen die vom Großknecht inzwischen abgeladenen Gören an die Reihe.
    »'n Hümpel Gören und wiegt nicht mal soviel wie'n paar fette Sweine«, meinte Krischan, der Großknecht, mitleidig.
    Die Jungen hatten sich bereits mit den Braunschen Sprößlingen Hansing und Fritzing angefreundet. Sie liefen dem Knecht, der gerade die Gäule ausspannte, bis in die Ställe nach. Dort war für die Großstadtkinder der schönste Ferienaufenthalt. Die kleinen Mädchen scharten sich ein wenig schüchtern um die Tante Jetta. Aber als die alte Dame ihnen so freundlich die Hand bot: »Ich bin die Großmutting von Fritzing und Hansing, ihr sollt mal sehen, wie schön das hier bei uns an der Waterkant ist«, und als die Gutsherrin zur Erdbeermilch unter dem Nußbaum einlud, da tauten auch die schüchternsten auf. Großvating saß hinter einer dicken Rauchwolke und ahnte nichts von der Überraschung, die der Leiterwagen abgeladen hatte. Er paffte wie ein Fabrikschornstein. Da stand plötzlich seine Frau vor ihm, ein bildhübsches, junges Mädel am Arm. Für schöne Frauen war Klaus Braun noch heute

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