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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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eingenommen. Er erhob sich mit einer bei seiner Gichtsteifheit rührenden Ritterlichkeit und verneigte sich. Da aber fühlte er sich plötzlich um den Hals genommen - i der Tausend, das konnte man sich gefallen lassen - und ehe er sich's versah, hatte er einen Kuß von jungen Lippen auf seiner Wange. »Na, Mutting, was sagst nu? So'n nettes Frölen haben wir noch bei keiner Ferienkolonie gehabt!« schmunzelte der alte Herr begeistert.
    »Aber Mann, Klaus - kennst du denn das Fräulein nicht? Sieh sie dir doch mal genau an, Vating.«
    Dies geschah eingehend unter dem Jubel der Kinder und dem Lachen der Großen. »Bekannt kommt sie mir vor, die lütte Dirn - weiß der Düwel, das muß'n Ableger von Hartensteins Jüngster sein.«
    »Freilich - geraten, Onkel Klaus. Die Marietta bin ich - Marietta Tavares aus Brasilien. Die Tochter von Ursel Hartenstein«, setzte das junge Mädchen erklärend hinzu, in der richtigen Annahme, daß sich der alte Herr nicht mehr so recht in den verschiedenen Generationen zurechtfand. Sie war auf die Wirkung, die ihre Worte auf den Onkel machten, nicht vorbereitet.
    »Tavares - Brasilien?« Das noch eben so freundliche Gesicht verfinsterte sich. »Ihr habt mir meinen Jungen fortgenommen, meinen besten. Wo habt ihr ihn? Was wollt ihr von ihm? Erst lockt ihr ihn mit falschen Versprechungen über das große Wasser, von der Heimat und den alten Eltern fort, und dann - dann gebt ihr ihm den Laufpaß!« Der alte Herr rief es so wütend, daß die Kinder sich wieder ängstlich hinter Marietta verkrochen. Die war ebenfalls erschreckt zurückgewichen.
    Sie war bis in die Lippen erbleicht. Ehe sie noch den Mund zu einer Erwiderung öffnen konnte, hatte Tante Ilse schon beschwichtigend ihrem Mann auf die Schulter geklopft. »Aber Vater, was machst du für Sachen! Gleich in der ersten Stunde fängst du an zu krakeelen. Die Dirn, die Marietta, die kann doch nix dafür, wenn unserem Jungen die Heimat zu eng geworden ist.«
    »Ich will nichts von eurem Horst«, sagte Marietta leise. Der Schmerz des alten Vaters traf sie tief. Sie empfand die ganze Verantwortung für die Handlungsweise der Zwillingsschwester.
    Mehr als die Worte seiner Frau beschwichtigte den alten Herrn die rührende junge Stimme. Er tätschelte der Großnichte begütigend die Wangen. »War ja nicht so gemeint - du bist 'r brave lütte Dirn!« Damit war für ihn die Sache erledigt. So 'ne kleine Explosion ab und zu, das gehörte nun mal zu seinem Wohlbehagen. Danach schmeckte die Pip Tobak noch mal so gut.
    Marietta aber ging die Sache noch lange nach. Als die Gören an den langen Holztischen längst schon in Erdbeermilch und großen Schinkenbroten schwelgten, dachte sie noch immer über die anklagenden Worte des alten Mannes nach. Frau Lising nahm den Arm ihres nachdenklichen, jungen Gastes und schritt mit ihr die resedaduftenden Gartenwege auf und nieder. »Du mußt dir Vatings Poltern nicht so zu Herzen nehmen. Er meint' man halb so schlimm. Aber das Wort 'Brasiän' das vermeidest du besser, Jetta.« Die Lütten lagen in den für sie hergerichteten Räumen in den sauberen, nach Wiesenbleiche frisch duftenden Betten. Marietta saß am Lager des kleinen Froschschenkelchen, das nicht einschlafen wollte.
    Das Kind war aufgeregt, weinte nach der Mutter und fürchtete sich. Daran waren nur die Braunschen Schlingel Hansing und Fritzing schuld, die der Kleinen vorgeredet hatten, es spuke in dem alten Schwalbenturm. Schließlich aber war doch die Übermüdung größer als die Gespensterfurcht. Das Froschschenkelchen schloß endlich die Augen.
    War wirklich alles ganz geheuer in dem altersgrauen Schloß? Auch zu der nebenan schlafenden Marietta kamen seltsame Traumgebilde. Einen stämmigen, blonden Jungen zeigten sie ihr - Horst rief man ihn. Sie sah ihn im Heu und bei den Pferden, den frischen Blondkopf. Jetzt über den großen Schulatlas gebeugt, die Geographie Brasiliens studierend. Und da war plötzlich wieder das böse Gesicht des alten Mannes. Marietta hörte die laute Stimme des Großonkels: »Was wollt ihr von meinem Jungen, ihr Tavares?« Und dann die beruhigende Stimme der Tante Ilse: »Laß man sining, Vating, was die eine Schwester schlecht gemacht hat, wird die andere wieder gutmachen. Man nich, mein Dirn?«
    Erschreckt fuhr Marietta empor. Zum Fenster blinzelte die Lüttgenheider Morgensonne herein. Blökend zog das Vieh auf die Weide. Wagen ratterten aus dem Hof. Da war der nächtliche Spuk zerstoben.

Dunkel wird's
     
    Was waren

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