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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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das für Sonnentage an der Waterkant! Wie eine leuchtende Perlenkette, so reihte sich einer an den andern. Neue Frische blies der Seewind einem in die Lungen, färbte die blassen Wangen der Kinder rot. Es war eine Freude zu sehen, wie die Berliner Gören aufblühten. Sie halfen beim Heuen auf den Wiesen, trieben sich in den Stallungen, im Obstgarten und auf dem Wäscheplatz herum und hatten immer dummes Zeug im Kopf. Dabei waren sie anstellig und gefällig, nur hielten sie die Hofleute mit ihren Berliner Schnurren und Späßen oft von der Arbeit ab. Dann trieb der Gutsherr sie wohl mit einem Donnerwetter auseinander. Innerlich aber hatte er seine helle Freude an den Lütten. Marietta, die Leiterin der Herde, nahm an allem teil. Mit Kopftuch und Rechen half sie das Heu wenden, ja sogar beim Aufladen stand sie ihren Mann. Die Arbeit im Freien, verbunden mit der kräftigen Seeluft, bekam ihr glänzend. Die größte Freude machte ihr, daß sie das in den letzten Jahren ganz vernachlässigte Reiten hier wieder aufnehmen konnte. In aller Frühe, wenn die Kinder noch schliefen, machte sie mit Peter Braun ihren Morgenritt.
    »Schade, Jetta, daß ich schon verheiratet bin, du würdest eine ganz brauchbare Gutsfrau abgeben«, neckte Peter sie.
    »Du aber keinen brauchbaren Mann für mich!« kam die übermütige Antwort. Oh, Marietta war nicht mehr so schüchtern wie einst, sie hatte gelernt, auf einen Scherz einzugehen. »Wir haben ja noch mehr Söhne«, hatte sich Großmutting belustigt eingemischt. Es war zur Feierabendstunde unter dem Nußbaum.
    »Na, Mutting, Günter und Werner sind doch leider auch schon Ehekrüppel. Bleibt nur noch unser Kleiner ...«
    Gut, daß die Abendwölkchen am westlichen Horizont ihren rosigen Schein herüberwarfen, da sah man es nicht, daß Mariettas Gesicht wie in Blut getaucht erschien. Sie hatte, Lisings Warnung eingedenk, das gefährliche Wort Brasilien streng vermieden und war mit dem alten Herrn daher glänzend ausgekommen. Klaus war sein Lebtag ein Damenfreund gewesen. Das verleugnete sich auch jetzt im Alter noch nicht. Er war altmodisch galant und dabei onkelhaft zärtlich gegen das hübsche Großnichtchen, so daß Großmutting öfters lachend Einspruch erhob. Jetzt nickte er gedankenvoll paffend vor sich hin. »Laß man sining, mein Dirn, laß man. Es is noch nicht aller Tage Abend. Mein Jung, der bleibt noch nicht da drüben. Hat er nicht geschrieben, Mutting, daß er die nächste Martinsgans wieder mit uns essen will? Laß man sining, mein Dirn, täuw du man.«
    Zum Glück für Marietta blieb das Gespräch jetzt bei den Gänsen, wie viele man dies Jahr »stoppen« wollte. Da merkte keiner, wie peinlich ihr die Überlegungen des alten Herrn waren.
    Beim Baden traf man sich mit den Grotgenheider Gören täglich am Strand. Aber die Leiterin der anderen Abteilung war nicht so restlos begeistert von ihrem Ferienaufenthalt, wie Marietta. Es war ihr nicht fein genug auf dem Gutshof. Auch behauptete sie, die derbe Kost nicht vertragen zu können. Herrgott, es liefen doch so viele Gänse, Enten, Hühner und Tauben da herum, warum spazierten die nicht in ihren Magen? Vergebens versuchte Marietta der Dame zu erklären, daß man auf Grotgenheide mit jedem Pfennig rechnen müsse, daß das Geflügel zum Verkauf in die Stadt wandere, wie auch ein Teil der Butter, der Eier und des Obstes. Wenn Marietta die Jugendfreundin ihrer Großmutter, Frau Marlene Frenssen, auf Grotgenheide, besuchte, dann schüttete die alte Dame manchmal ihr sorgenbeladenes Herz aus. Daß es mit Grotgenheide, trotz aller Mühen, die man darauf verwendete, trotz der größten Sparsamkeit immer weiter bergab gehe. Daß sie den Tag schon kommen sehe, wo das Gut, für das ihr verstorbener Mann seine besten Kräfte eingesetzt hatte, unter den Hammer käme. Die Kinder würden es, aller Arbeit ungeachtet, nicht halten können. Tante Marlene war eigentlich am meisten gealtert von Großmamas Jugendfreundinnen. Daran waren wohl die schweren Tage schuld.
    Marietta machte ihrer Kollegin, Fräulein Wohlgemut, den Vorschlag eines Austausches. Sie wollte ganz gern den Rest ihrer Ferienzeit die andere Abteilung auf Grotgenheide übernehmen. Aber davon wollte man auf Lüttgenheide nichts hören. Von Großmutting und Großvating an bis zur kleinen Annemarie, allen hatte sie es mit ihrem lieben, bescheidenen Wesen angetan. Und die ihr anvertrauten Kinder, besonders Lottchen und Lenchen, die ließen ihre Tante Jetta schon gar nicht fort.

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