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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Zuschauer war, an Marietta vorüber. Dann gingen sie in ein Restaurant mit buntschirmigen Lampen, die wie Riesenschmetterlinge in das Nachtdunkel hinausglänzten. Es gab aalglatte, immer wieder der Gabel entgleitende Spaghetti mit parmigiano, Parmesankäse, zu deren Vertilgung es erst eines besonderen Studiums zu bedürfen schien. Voll Staunen sah Marietta, wie der Onkel und die Umsitzenden diese ihr so schwerfallende Kunst beherrschten, wie sie mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit die feinen Spaghetti um die Gabel wickelten und Unmengen davon mit dem beliebten Parmesankäse oder vielmehr »parmigiano« verzehrten.
    »Bene - benissimo - sehr geschickt!« ermunterte der Onkel Marietta zu ihren noch zum Teil mißglückenden Versuchen, es den Italienern bei ihrem Nationalgericht gleichzutun. Noch einmal sah Marietta den vom Vollmond beleuchteten Dom, dann folgte die Autofahrt zum Hotel. Dort legte sie sich, müde von den vielen Eindrücken, sofort ins Bett. Der nächste Tag war ein historischer Festtag für Italien. Mailand hatte sich geschmückt. Blumengewinde umkränzten Häuser, Säulen, Bildwerke, Fahnen und Teppiche aus jedem Hause.
    »Du hast es gut getroffen, Marietta«, sagte der Onkel beim Frühstück. »Milano zeigt sich nicht jedem Fremden im Festschmuck. Solch einen Festzug hast du sicher noch nicht gesehen.«
    Der Domplatz, der heute im grellen Sonnenlicht nicht mehr geisterhaft wirkte, zeigte malerische Bilder, echt italienischen Volkscharakter. Die den Festzug erwartende Menge befand sich in großer Aufregung. Auch der alte Signor Sanini war von jugendlicher Lebhaftigkeit.
    »Sie kommen - sie kommen!« Die Erregung erreichte ihren Höhepunkt. Voran die Musikkapelle, die Nationalhymne blasend, welche das Publikum mitsang. Zwei blumengeschmückte Wagen mit Veteranen in roten Jacken, die mit blühenden Zweigen die Menge grüßten, zogen vorüber. Es hatte etwas Rührendes, diese verwitterten, weißhaarigen Männer unter blühenden Blumen. Befremdet sah Marietta, wie das Volk die Vorüberziehenden durch begeistertes Händeklatschen ehrte.
    »O bella - bella!« Ein rotjackiger Weißkopf grüßte mit unglaublicher Grazie begeistert zu Marietta herüber.
    »Du bist gemeint, Marietta.« Der Onkel war stolz auf seine schöne Begleiterin. Signor Sanini war trotz seiner zweiundsiebzig Jahre nicht weniger feurig als die jungen Leute. Wenn Marietta an ihren Großpapa dachte, an die abgeklärte Ruhe des alten Geheimrats, war es kaum denkbar, daß die beiden Altersgenossen waren.
    Das ganze Militär, in malerischen Farben, war inzwischen an der frohen Volksmenge mit Musik, Fahnen und Zurufen vorübermarschiert. Marietta begann der Zug allmählich zu ermüden.
    »Le madre - die Mütter!« Schwarzgekleidete, tiefverschleierte Frauen - ein langer Zug - das waren die Mütter der fürs Vaterland Gefallenen. Die Menge entblößte ehrfürchtig das Haupt. Schweigend ließ sie die Heldenmütter vorüber. Aber der nun folgende Zug griff noch stärker an Mariettas Herz. Die Krüppel folgten, die fürs Vaterland ihre gesunden Glieder eingebüßt hatten. Im Rollwagen wurden sie gefahren, Blinde wurden geführt. Und die Menge jubelte ihnen begeistert zu. Schulkinder, Knaben und Mädchen, alle gleich gekleidet, machten blumengeschmückt den Schluß des Zuges. »Nun essen wir Mittagbrot«, sagte Signor Sanini, wie nach einer Arbeit aufatmend. »Jetzt schon - ist denn schon Zeit zum Mittagessen?« Marietta war enttäuscht. »Ich wollte noch in die Gemäldegalerie und vor allem das Abendmahl von Leonardo sehen.« »Da hättest du dir nicht diesen Tag dazu aussuchen sollen. Heute, am Feiertag, ist alles geschlossen, tutto. Du wirst ja noch öfter nach Milano kommen. Das bleibt dir per la volta prossima - für das nächste Mal. Avanti!« Er steuerte auf ein Restaurant zu.
    »Nein, Onkel Enrico, das ist nicht dein Ernst. Ich sollte in Mailand gewesen sein und dort die größten Kunstgenüsse versäumt haben?« Mariettas zarte Wangen hatten sich vor Erregung gerötet.
    Der Onkel schien augenblicklich leibliche Genüsse den Kunstfreuden vorzuziehen. Er studierte eifrig la lista - die Speisekarte. »Risotto alla Milanese oder Spaghetti?« erkundigte er sich bei der jungen Signorina. Ohne diese Vorspeise, Reis oder Makkaroni, war ein italienisches »pranzo« - Mittagessen - nicht denkbar.
    »So muß ich mich bis auf morgen mit der Gemäldegalerie und dem Abendmahl gedulden.« Marietta war tief enttäuscht.
    »Marietta, der Kellner wartet.

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