Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
Vom Netzwerk:
Sie zog den Arm des jungen Mädchens durch den ihren und schritt mit ihr feldwärts.
    Da löste sich der beklemmende Reif, der Mariettas Kopf und Brust umspannte, sie fand Worte und Tränen.
    Tante Marlene war eine gute Zuhörerin. Kein Wort unterbrach die Sprechende. Kein Laut verriet, wie stark der Schicksalsschlag, der die Jugendfreundin betroffen hatte, auch sie erschütterte.
    »Wir müssen auf den da oben bauen. Weiter bleibt uns nichts übrig, Kind. Will' Gott, wird's wieder gut werden. Deine Großmama ist in all ihrem Jammer noch beneidenswert. Sie hat noch Hoffnung, und sie hat vor allem noch ihren Mann. Wie glücklich wäre ich, wenn ich in ihrer Lage wäre.«
    Eine große Wahrheit ging der jungen Marietta auf: Kein Mensch ist so bemitleidenswert, kein Leid ist so groß, daß nicht noch etwas Gutes daran zu finden wäre. Nur auf die Einstellung dazu kommt es an.
    Tage schweren Sorgens folgten. Nur spärlich liefen die Nachrichten ein, stets Enttäuschung auslösend. Der Professor sei nicht unzufrieden, aber irgendwelche Hoffnung könne er noch nicht machen. Der Großvater begänne schon ungeduldig zu werden. Die Großmama müsse ihren ganzen Humor zu Hilfe rufen, um seine Stimmung zu bessern. Dann wieder tagelang gar kein Schreiben. Marietta litt unsagbar in diesen Tagen des Hangens und Bangens. Ihre Erholung, ihre strahlende Frische war dahin. Blaß und übernächtigt tat sie ihre Pflicht. Die Verwandten waren rührend gut zu ihr. Immer wieder versuchte Peter, sie zu einem Spaziergang zu bewegen - vergebens. Lising pflegte und päppelte sie, aber die Kehle war Marietta oft wie zugeschnürt. Selbst Onkel Klaus suchte all die Streiche seiner Jugendtage wieder hervor, um das Nichtchen aufzuheitern. Am besten gelang es noch Tante Ilse, Marietta zu zerstreuen. Wenn sie von früher erzählte, von ihrem Jungenquartett, und besonders gern und ausführlich beim Jüngsten verweilte, dann erwachte die Teilnahme ihrer jungen Zuhörerin. Und wenn sie dann bis zu dem letzten Brief gekommen war und Zukunftspläne schmiedete, sich das Wiedersehen mit ihrem Jungen ausmalte, dann vermochte Marietta sich sogar mit der Mutter zu freuen. Auch die Kinder halfen ihr, die schweren Tage zu besiegen. Durch tausenderlei Anforderungen, die sie an sie stellten, durch Liebkosungen und durch Unarten. Das Froschschenkelchen mußte sie aus dem Teich herausfischen, in den es geplumpst war. Walter fiel vom Pflaumenbaum und schlug sich ein Loch in den Kopf. Das nahm einen Teil der Gedanken und Sorgen in Anspruch. An einem Regentag war's, einem grauen, häßlichen.
    Die Kinder, an Freiheit gewöhnt, waren nur schwer im Zimmer zu beschäftigen. Marietta war auch nicht wie früher mit dem Herzen dabei. Da ging plötzlich, den dicken Regenwolken zum Trotz, die Sonne auf. So strahlend und blendend, daß man glaubte, der Himmel hätte sich geöffnet. Und es waren doch nur drei Worte, die ihn erschlossen. Ein Stück Papier, auf dem nichts stand, als: »Großpapa Augenlicht wiedererlangt.«

Kennst du das Land?
     
    Tiefblau träumte der Gardasee, ein leuchtender Saphir, von schroffen Felsriesen bewacht. Der Monte Baldo, der gewaltige Bergkönig, hatte eine Neuschneekrone auf seinem Haupt. Eitel spiegelte er sich in dem enzianblauen See. Segelboote, weißen Schwänen gleich, zogen still ihre blaue Straße. Aus dem Fischerboot drüben klangen italienische Volksweisen, schwermütig, sehnsuchtsvoll. Dunkle Zypressen ragten ernst und still in den tiefblauen Himmel.
    »Wie ein Böcklinsches Bild«, sagte eine Frauenstimme voll Andacht. »Nun sind wir doch schon in der dritten Woche hier in Riva, und immer noch erscheint mir der Gardasee, die ganze Landschaft hier unwirklich, ein Vineta, aus blauen Märchenwassern emporgestiegen.«
    »Fraule, du wirst hier zum Dichter. Auf Goethes Spuren - das scheint infizierend zu wirken. Aber lies weiter. Was schreibt Meister Goethe über die Ponalestraße? Soll mich halt wundern, ob es damals auch schon so staubig dort gewesen oder ob wir das erst den Fortschritt des zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen luftverpestenden Autos verdanken.« Den genesenden Geheimrat störte der laute Verkehr. Am vielbesuchten Gardasee schimpfte er über jedes vorübersausende, staubaufwirbelnde Gefährt. Frau Annemarie hatte den Kopf mit dem weißen Haar gegen den dunklen Pinienstamm gelehnt, der die Uferbank beschattete. Ihre Augen schienen so blau wie der See. Sie dachte nicht daran, die unterbrochene Lektüre, Goethes »Italienische

Weitere Kostenlose Bücher