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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Tasse davon trinken?“
    Sie durfte. Wenig später saßen wir wieder im
Salon und schlürften wie zwei alte Bekannte das dunkle Gebräu. Schmeckte
irgendwie komisch. Aber ich hatte seit 1940 keinen richtigen Kaffee mehr
getrunken und war wohl aus der Übung.
    Ich setzte die Fragerei fort.
    Ja, sie habe von dem zweiten Eingang gewußt.
Habe ihn rein zufällig entdeckt, als nämlich... Lydia verlor sich in eine
Geschichte, in der Künstler die Hauptrolle spielten. Ob sie Künstlerin sei,
fragte ich. Nein, Mannequin. Ob sie schon lange in Bois-le-Roi wohne? Ja,
ziemlich lange. Ob sie keine Angst habe, so alleine? Schließlich zeige der
Überfall von heute abend, daß es sehr gefährlich sei. Ob sie denn eine Waffe
besitze? Oh, nein! (Lydia lachte nervös auf.) Sie lege keinen Wert darauf, sich
selbst zu erschießen, und wenn sie eben nicht geschossen habe — jetzt könne
sie’s mir ja gestehen...
    „Ich hielt das Ganze ja für Theater, und wenn
Sie oder Ihre — wie ich glaubte — Komplizen eine Kugel abgekriegt hätten, wäre Ihnen
wohl der Spaß an solchen Scherzen vergangen... Der wirkliche Grund, warum ich
nicht geschossen habe, ist der, daß ich mich mit den Dingern überhaupt nicht
auskenne. Ich weiß nicht mal..
    Während sie sprach, hatte sie die Zeitung wieder
in die Hand genommen. Mein Blick fiel auf die Überschrift Wir, die Kleinen, unter
der Rubrik „Aus der Welt des Films“. Ich sah die Buchstaben ungewöhnlich
deutlich, so als unternähmen meine Augen eine letzte große Anstrengung, um sich
dann für immer zu schließen.
    Und so ungefähr war es auch: Plötzlich schob
sich ein Nebelschleier vor meine Augen, mein Kopf wurde schwerer. Ich legte
meinen Arm auf den Tisch, die Tasse fiel um. Mühsam erhob ich mich. Ich hatte
das Gefühl, ein Klavier oder einen Schrank zu schleppen.
    Auch Lydia Daquin stand auf. Sie ging zur Tür,
lehnte sich gegen den Pfosten. Zitternd, mit weitaufgerissenen Augen, starrte
sie mich an. Aber ihr Mund lächelte, ein trauriges, vom billigen Triumph
verkrampftes Lächeln. Sie war mit ihren Nerven offensichtlich am Ende. Wartete
nur darauf, daß ich ohnmächtig wurde, um es mir dann gleichzutun.
    Ich wankte einen Schritt auf sie zu. Meine Füße
waren bleischwer. In meinen Schläfen hämmerte das Blut. Ich war todmüde.
    „Das ist das zweite Mal... zweite Mal heute...
daß Sie... Sie mich... rein... legen“, lallte ich.
    Und fiel der Länge nach hin.

Florimond
hat Gewissensbisse
     
    Auf einer harten Bank kam ich wieder zu mir. So
müde ich auch war, konnte ich doch das Lokal als Gendarmerie identifizieren.
Zwei schnurrbärtige Polizistengesichter beugten sich über mich. Ohne mir Zeit
zu lassen, meine Gedanken zu ordnen, fielen sie mit Fragen über mich her. Was
ich auf der Straße piache, nach der Ausgangssperre, und warum ich unter freiem
Himmel schlafe — der allerdings bedeckt sei, haha! — , und warum ich bis jetzt
nicht aufgewacht sei, und warum... etc. etc.
    Die beiden Uniformierten waren ganz aufgeregt.
Der eine fuchtelte sogar mit einer Kanone vor meinem Gesicht rum.
Vorsichtshalber hob ich die Hände. Der andere drohte mir, ich sollte nicht den
Clown spielen, sie hätten schon ganz andere kleingekriegt. Sein Kollege hatte
noch ein weiteres „Warum“ auf Lager: „Warum hast du das hier in der Tasche?“
    Jetzt erkannte ich die Kanone in seiner Hand. Es
war mein Revolver. ,Damit ich dir das Maul stopfen kann’, dachte ich. Laut aber
sagte ich nur:
    „Ich besitze einen Waffenschein.“
    „Tatsächlich? Dann zeig ihn mal!“
    Ich griff nach meiner Brieftasche. Ihr Platz war
leer.
    „Er ist bei meinen anderen Papieren“, sagte ich.
    „Oh, daran zweifeln wir nicht“, gab er zurück und
kugelte sich vor Lachen. Dick genug dazu war er! „Nur... Wo sind sie denn,
deine ,anderen’ Papiere? Du hattest nichts bei dir, als wir dich gefunden
haben... schlafend, auf einem Feldweg, gleich neben den Eisenbahnschienen.
Nichts außer einer Zeitung, deiner Pfeife samt Tabaksbeutel, den sechs
Hundertfrancsscheinen hier und dieser Schußwaffe.“
    „Ja, ich erinnere mich“, log ich. „Man hat mich
überfallen...“
    „Genau!“ lachte der Fettkloß. „Und die bösen
Räuber haben dir alles abgenommen... nur nicht das Geld und den Revolver! Eine
einleuchtende Geschichte!“
    Recht hatte er! Was ich erzählte, klang wenig
wahrscheinlich. Und dennoch: Bis auf eine Kleinigkeit war es genauso gewesen.
Die verführerische Lydia Daquin oder Méliès oder Lherbier, ganz

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