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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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gekommen
ist... Jedenfalls versuchte er herauszufinden, wo seine ehemalige Frau wohnte.
Und neulich hat er mich angesprochen, vor Irma und Denise .“
    „Wann genau?“
    „Montag, einen Tag vor... vor der Tragödie.“
    „Mittags oder abends?“
    „Mittags. Wenn ich Zeichnungen abliefern muß,
mach ich das ausschließlich vormittags... Er begleitete mich ein Stück, drohte
mir mit schrecklichen Dingen, wenn ich ihm Jeannes Adresse nicht geben würde.
Dann plötzlich änderte er den Ton, er wolle mal nicht so sein und mir eine
Bedenkzeit einräumen. Er wisse ja jetzt, wo ich arbeite, und werde es zu einem
Skandal kommen lassen. Er hat mich zu sich nach Hause bestellt, für den
nächsten Morgen, um elf Uhr. Ich habe natürlich zugesagt...“
    Das Mädchen schwieg. Ihre Hand zuckte auf ihrem
Knie, wodurch der Rock ein wenig hochrutschte. Unter dem feinen Seidenstrumpf
war ein blauer Fleck zu sehen. Ein Andenken an die Fesselaktion vom
„Fliehenden“ & Co.
    „Wußte er“, fragte ich, „daß Sie um diese
Uhrzeit zu ihm kommen konnten?“
    „Das weiß ich nicht. Ich glaube, es war ihm auch
egal. Er bestellte mich zu sich und Schluß.“
    „Und dann?“
    „Ich ging pünktlich zu der Verabredung. Ich
hatte mir schon etwas zurechtgelegt, womit ich ihn vielleicht zur Vernunft
bringen konnte. Was dann ja nicht mehr nötig war.“ Sie grinste schadenfroh. „Na
ja, ich fand seine Tür ohne weiteres. Es hing ein Zettel mit seinem Namen dran.
Ich klopfte. Niemand antwortete. Ich fürchtete mich vor diesem Treffen, aber es
mußte stattfinden. Ich drückte die Klinke runter... Die Tür war nicht
verschlossen... Ich öffnete sie... und…“ Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Da
lag er... tot!“
    „Schon länger?“
    „Meinen Sie etwa, ich hätte nachgeguckt? Ich war
ganz benommen. Der Tod von Henri Barton, das war... das war...“
    „Unverhofft?“
    „Das bedeutete: Jeanne war gerettet, sie hatte
von dem schrecklichen Mann nichts mehr zu befürchten! Angesichts seiner Leiche
empfand ich eine boshafte Freude... Ihn für immer und ewig unschädlich zu wissen...“
    „Und später dann freuten Sie sich noch mehr, als
Sie von der Bombe erfuhren, die das Haus getroffen und die Leiche ordentlich
begraben haben sollte…“
    „Ja. Die Sirenen holten mich wieder in die
Wirklichkeit zurück. Ich hatte Angst, daß jemand in Bartons Wohnung kommen
könnte... Bin die Treppe runtergerannt, aus dem Haus... Und da hab ich Sie
angerempelt.“
    „Sie hatten nur einen Gedanken: so schnell wie
möglich vom Tatort weg?“
    „Genau! Ich wollte auf gar keinen Fall mit dem
Mord in Verbindung gebracht werden. Ich war völlig kopflos. Die Leiche würde
bald identifiziert werden, und er war doch mein Schwager! Deswegen ließ ich
mich durch den Alarm nicht aufhalten, deswegen habe ich Sie in der Metro
abgehängt, und deswegen habe ich Ihnen das Schlafmittel in den Kaffee getan...“
Sie griff nach meiner Hand und sah mich mit traurigen Augen an. „Ich bitte Sie
um Verzeihung“, hauchte sie. „Wie konnte ich ahnen, daß wir Freunde werden
würden?“
    „Wer sagt Ihnen, daß ich Ihr Freund bin?“
    Kraftlos ließ sie meine Hand los.
    „Sie machen’s mir nicht grade leicht“, seufzte
sie.
    „Warum sollte ich’s Ihnen leicht machen?“
    „Ja, ich verstehe... Ich habe Sie angelogen.
Aber das hab ich doch nur getan, um Jeanne vor diesen furchtbaren Erinnerungen
zu bewahren. Begreifen Sie das denn nicht? Inzwischen glaube ich jedoch, daß es
besser ist, Ihnen die Wahrheit zu sagen... Sie sind nicht mein Freund, sagen
Sie? Na ja, mein Feind sind Sie jedenfalls auch nicht, das spüre ich! Wenn Sie
den Schmutz von früher wieder aufwühlen würden, wäre das ein harter Schlag für
meine Schwester. Deswegen bin ich gekommen, um Ihnen alles zu erzählen. Das war
das Klügste, glaube ich... oder das Dümmste. Ich weiß es nicht. Ich hätte bis
morgen warten sollen... Aber ich wollte sofort zu Ihnen kommen.“
    Ein Schauer lief über ihren Körper. Wieder
ergriff sie meine Hand. Ihre Augen schimmerten jetzt feucht.
    „Sie glauben mir doch, oder?“ sagte sie flehend.
    „Was soll ich Ihnen glauben?“ fragte ich beinahe
teilnahmslos.
    „Alles... alles, was ich Ihnen erzählt habe.“
    Ohne ihr meine Hand zu entziehen, zog ich mit
meiner anderen einen Stuhl ran und setzte mich.
    „Eben“, sagte ich vorwurfsvoll, „alles haben Sie
mir noch nicht erzählt.“
    Niedergeschlagen versank sie in ihrem Sessel,
rutschte ein wenig nach vorn.

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