Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
Das Gewitter hatte für angenehme Temperaturen und einen größeren Zulauf
an Gästen um die Mittagszeit gesorgt.
»Sie nennen
sich ›Confessions Anonymous – Anonyme Bekenntnisse‹. Natürlich muss der Name wieder
halb Englisch sein. Aber schau her! Die sind hier in Floridsdorf und gar nicht weit
weg.« Herr Otto fuchtelte mit der Zeitung wild in Richtung Leopold.
»Gleich«,
vertröstete Leopold ihn. Zuerst musste die Melange zu Frau Fürthaler gebracht werden,
die sich nach langer Zeit wieder einmal anschauen ließ.
»Nicht gleich,
jetzt«, forderte Herr Otto unbeirrt, als ob er der einzige Gast im Lokal wäre. Seinen
Anflug von Intellektualität ließ er dabei bereits weit hinter sich. »Unglaublich:
Ein Bekenntnisverein in der Angerer Straße leistet sich eine große Anzeige mit Telefon,
Internetadresse und allem drum und dran.«
Leopold
warf einen flüchtigen Blick auf das Inserat. »Und was sagt uns das, Herr Otto?«,
fragte er beiläufig, während er sich daranmachte, ein großes Soda mit Zitrone einzuschenken.
»The end
is near! Das Ende der Welt naht, wie ich es schon immer vorhergesehen habe.« Triumphierend
legte Herr Otto die Zeitung beiseite und steckte die Brille in sein Etui. »Schon
steht es in großen Lettern in der Tagespresse: Menschen kommt, werdet los, was euch
bedrückt, bevor es abgeht in alle Ewigkeit. Die Leute spüren, dass sie nicht mehr
viel Zeit haben. Ich habe von diesen anonymen Bekennern bereits gehört, aber da
waren sie noch eine ganz kleine Gruppe. Jetzt floriert das Ding natürlich.«
»Und? Haben
Herr Otto schon selbst alle Bekenntnisse gemacht? Sind Sie bereit für den letzten
großen Weg, wenn der Atomkrieg kommt?«, erkundigte sich Leopold über das prickelnde
Limonadenglas und über die Theke hinweg.
»Wenn der Komet kommt, Leopold, das bitt ich mir aus. Ansonsten war ich eine ausgeglichene
Beamtenseele, die vor allem eines gesucht hat: Gerechtigkeit.«
»Und gefunden
haben Sie dann die Tausender in der Sakkotasche, und später beim Euro die Hunderter,
links und rechts gerecht verteilt«, konnte sich Leopold nicht verkneifen zu bemerken.
Herr Otto
machte ein Schnoferl. »Du machst dir keine Vorstellungen über das schwere Leben
eines Staatsdieners«, gab er leicht beleidigt zurück. »Merk dir eines: Die öffentliche
Verwaltung wird bis zum Schluss klaglos funktionieren, das garantiere ich dir.«
Er ließ ein paar Münzen auf die Theke fallen und ging, ohne eine Nachfüllung zu
bestellen. Offenbar war ihm der Appetit auf ein weiteres Glas vergangen. In der
Tür stieß er beinahe mit dem eintretenden Oberinspektor Richard Juricek zusammen.
»Servus,
Richard«, grüßte Leopold, und auf seinem Gesicht war eine gewisse Vorfreude zu erkennen.
»Servus,
Leopold!« Juricek befreite sich von seinem Sombrero, den er auch im Sommer trug,
strich seine Haare mit beiden Händen nach hinten und schritt dann leger auf die
Theke zu. »Einen großen Braunen, aber mach ihn nicht zu stark, hörst du? Ich hab
noch nicht viel im Magen«, ordnete er an.
»Und?« Leopold
konnte sich mit seiner Neugier kaum zurückhalten, und doch sollte es möglichst beiläufig
klingen.
Juricek
wartete. Zuerst der Kaffee, dann die Details. Erst als das dampfende Gebräu vor
ihm stand, schickte er sich an, Leopold ein wenig in den Stand der Ermittlungen
einzuweihen. »Es ist Walters«, teilte er ihm mit. »Frau Patzak, die Kollegin von
Thomas Korber, hat ihn identifiziert. Tolle Frau! Hat viel Mut und einen Blick fürs
Detail. Sie hat sich eine merkwürdige Zahnstellung bei Walters gemerkt und am Leichnam
nachgewiesen.«
»Schau mich
nicht so an, Richard«, fühlte sich Leopold auf den Schlips getreten. »Ich hab ihn
halt nicht wiedererkannt. Allerdings habe ich ihn nur einmal gesehen, und das nicht
ganz aus der Nähe. Und auf die Zähne habe ich kein wirkliches Augenmerk gelegt.«
»Keiner
macht dir Vorwürfe«, äußerte Juricek mit Bedacht. Dabei rührte er eifrig in seinem
großen Braunen um, damit er ein wenig abkühlte. »Dein Freund Thomas kannte ihn von
etlichen Proben und hat auch einen negativen Befund abgegeben. Die Leiche war leider
nicht mehr in einem guten Zustand.«
»Außerdem
hat Walters alle zum Narren gehalten, indem er sich eine rote Perücke auf seine
Glatze gesetzt hat. Nicht schlecht, klingt sogar ein bisschen nach Nestroys ›Talisman‹.
Dort trägt die Hauptfigur eine ganze Reihe verschiedener Perücken, allerdings um
seine ursprüngliche rote Haarfarbe zu
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