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Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)

Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)

Titel: Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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unwirklich ausgesehen. Du fragst dich wohl auch, ob es sich um Walters
handeln könnte?«
    »Natürlich,
das wird sich doch jeder fragen. Schön langsam wollen wir endlich wissen, was mit
ihm ist und woran wir sind.«
    »Ich fürchte,
ich muss dich enttäuschen, Ilona. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Walters
ist. Außerdem hatte die Leiche eine Glatze.«
    Auf einmal
blickte ihn Ilona Patzak mit großen Augen an, während sie gierig ihren Kaffee schlürfte.
»Verstehe mich jetzt bitte nicht falsch, lieber Thomas, aber ich glaube nicht, dass
du richtig hingeschaut hast«, stellte sie fest. »Die Angst ist dir im Nacken gesessen.
Dir hat gegraust. Womöglich hast du dagegen angekämpft, dich zu übergeben. Da konntest
du dich einfach nicht gut konzentrieren. Mach dir nichts draus, das ist eine typische
Männerkrankheit. Es heißt immer, die Frauen werden schwach, wenn sie eine Leiche
sehen, dabei ist es genau umgekehrt.« Sie hob ihren rechten Zeigefinger, als wolle
sie zu dozieren beginnen. »Ich bin Biologin, Thomas«, fuhr sie fort. »Nichts Menschliches
ist mir fremd. Ich beurteile Körper, egal ob sie leben oder tot sind, nach eindeutigen
Merkmalen. Haare sind da, und im nächsten Augenblick sind sie weg, das geht recht
einfach, schnipp schnapp. Ein höchst zweifelhaftes Indiz. Aber hast du auch einen
Blick auf die Zähne des Toten geworfen?«
    »Auf die
… Zähne?« Korber war so überrascht, dass er seine Stimme unbeabsichtigt erhob, während
das Lehrerzimmer sich langsam zu füllen begann. Er kratzte sich verlegen am Hals
und versuchte, seine Kolleginnen und Kollegen möglichst nicht wahrzunehmen.
    »Jawohl,
die Zähne«, wiederholte Ilona Patzak unbeeindruckt, und ihr war egal, wie viele
Leute es hörten. »Die fallen nicht von einem Tag auf den anderen aus. Im Normalfall
bleiben sie einem für längere Zeit. Und Walters hat eine auffällige Stellung bei
den oberen Schneidezähnen, ein verkehrtes V. Außerdem fehlt rechts unten der Zahn
hinter dem Eckzahn. Hast du das nie bemerkt?«
    »Vielleicht,
aber ich habe nicht so darauf geachtet.«
    »Worauf
schaut ihr Herren der Schöpfung eigentlich? Bei Frauen geht euer selektives Betrachten
wohl nicht über die Brusthöhe hinaus, und bei anderen Männern ist das auffallendste
Merkmal ihr Auto, oder täusche ich mich?«, fragte Patzak nun leicht amüsiert.
    Mein Gott,
wie Korber solche Bemerkungen hasste! »Wenn du glaubst, dass es sich um Walters
handelt, dann solltest du schnellstens zur Polizei gehen und die Leiche identifizieren«,
erwiderte er schroffer, als er vorgehabt hatte.
    »Keine Angst,
das tue ich auch«, erklärte Patzak mit Bestimmtheit. »Aber vorher muss ich den Buben
und Mädchen in der ersten Klasse noch etwas über das Leben der Schlangen und Eidechsen
erzählen.«
     
    *
     
    Herr Otto nahm diesmal eine ungewöhnliche
Position ein. Er stand leicht seitlich, den rechten Ellenbogen auf die Kaffeehaustheke
gestützt, eine Zeitung in der Hand. Auf der Nase saß eine dicke Hornbrille. Er las,
was es auf der Welt Neues gab, und vergaß darüber beinahe sein Weinglas, das sich
in dieser Stellung nicht vor, sondern schräg hinter ihm befand.
    Nun konnte
man annehmen, dass Herr Otto des Lesens kundig war und diese Tätigkeit während seiner
langen Dienstzeit als Beamter im Wiener Rathaus zur Genüge ausgeübt hatte. Wie viele
Akten, unter Umständen komplizierte Fälle, mochten wohl durch seine Hände gegangen
sein. Doch hier im Heller, wo man ihn nur in tiefer Versenkung in sein Viertelglas
kannte, wirkte er jetzt mit Lektüre und Brille zwangsläufig so, als befände er sich
auf der Suche nach neuen intellektuellen Herausforderungen. Wenn er sich umdrehte,
um einen genießerischen Schluck zu tun, und die Zeitung dabei sorgfältig zusammenfaltete,
sah er beinahe aus wie ein Sir.
    »Hör zu,
was da steht«, begann er Leopold vorzulesen. »›Sind auch Sie ein reuiges Schäflein?
Dann kommen Sie in unsere Herde. Wir bieten Ihnen die Möglichkeit, sich von der
Last der Dinge zu befreien, mit denen Sie anderen wehgetan haben. Sprechen Sie darüber
im kleinen Kreis zu Ihren Mitmenschen im Rahmen einer Präsentation und seien Sie
sicher: Es wird Ihnen verziehen werden, bla, bla, bla. Nur wirkliche Straftaten
sind ausgenommen.‹ Na, was sagst du dazu, Leopold?«
    »Was soll
ich schon sagen? Die Menschheit wird immer verrückter.« Leopold hörte nur mit halbem
Ohr hin. Erstens war er noch müde von der vorigen Nacht und zweitens hatte er einiges
zu tun.

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