Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
Problem, es stand alles still. Nichts zu
tun. Kein Vorankommen in dem Mordfall. Auf neue Details konnte er erst morgen hoffen.
Und sonst?
Was gab es an einem Sonntag zu unternehmen? Diese Frage hatte sich Leopold, weiß
Gott, schon oft gestellt. Aber er fand keine Antwort. Der Sonntag war offenbar nur
dazu da, die Zeit totzuschlagen.
Er nahm
eine kleine Flasche Bier aus dem Eiskasten, schenkte sich ein Glas halbvoll ein
und starrte unverwandt auf den Bildschirm. Es war ihm eigentlich egal, was dort
ablief. Sein Blick ging nur mehr geradeaus. Von links und rechts legte sich langsam
etwas wie ein Vorhang zwischen ihn und den Apparat, dann auch über ihn. Der Klangteppich
aus dem Fernsehapparat machte sich selbständig, die Töne begannen zu hüpfen. Mitten
in der größten Unordnung schlief er ein.
*
Die Augenblicke, in denen die Nacht
vom Tag abgelöst wird, haben ein eigentümliches Licht. Noch fehlen die Farbtüpfelchen.
Die verschiedenen Grautöne hingegen zeigen sich in all ihren Nuancen, viel zu wenig
beachtet von einer zur Arbeit hastenden oder gerade in aller Eile ihre Morgentoilette
verrichtenden Menschheit.
Leopold
saß im Café Heller, im Eck hinter den Billardtischen, dort, wo man sonst die Kartenspieler
anzutreffen pflegte, und genoss den diffusen Charakter der Szene. Er saß schon lange
da, wie lange, wusste er selbst nicht. Er betrachtete und studierte alles so eingehend,
als müsse er für immer davon Abschied nehmen. Dazu nahm er sich Zeit. Es war niemand
hier, der ihn störte.
Wirklich
niemand? Im zarten Lichtkegel der milchig herüberschimmernden Eingangstüre glaubte
er, die Umrisse einer Gestalt wahrzunehmen. Zuerst dachte er sich nichts dabei.
Immer wieder probierten die Leute schon in aller Frühe, ob das Kaffeehaus offen
war, dabei mussten sie doch sehen, dass noch kein Licht brannte. Gott sei Dank hatte
er die Tür zugesperrt gelassen. Doch dann kam ihm vor, dass diese hagere, große
Gestalt bereits herinnen war und sich ihm langsam näherte. »Halt, wer da?«, rief
er ins gespenstische Zwielicht.
»Ah, da
is ja noch wer«, hörte er eine angenehme, wenngleich etwas irritierte Stimme.
»Ja natürlich«,
entfuhr es Leopold.
»Er meint,
es ist die natürlichste Sache der Welt, wenn einer da hinten sitzt und bellt wie
ein Hund, den man aufg’weckt hat«, sagte die Stimme. »Wer sind S’ denn? Hab’n S’
g’schlafn?«
»Ich heiße
Leopold und bin der Oberkellner hier im Kaffeehaus«, antwortete Leopold gereizt.
»Und wer sind Sie?«
»Gestatten,
Nestroy mein Name«, kam es mit der Andeutung einer Verbeugung.
Leopold
fiel aus allen Wolken. Er besah sich die Kundschaft genau. Hohe Stirn, die schon
etwas schütteren Haare nach rechts gekämmt, große Nase, kleine, listige Augen, dünne,
zu einem schelmischen Lächeln verzogene Lippen; Jackett und Hose selbst für seine
Begriffe ein wenig altmodisch, ein kleines Mascherl auf einem weißen Hemd – ja,
ja, so hatte er Nestroy aus den Schulbüchern und von Bildern in der Zeitung in Erinnerung.
Dazu kam die irgendwie seltsame Sprache. »Und was machen Sie hier?«, fragte er verdutzt.
»Irgendwo
in der Umgebung hier wird wieder einmal ein Stück von mir aufg’führt, der ›Jux‹,
wenn ich mich recht erinnere. Bei so einer Gelegenheit zieht’s mich halt immer noch
an den Ort des Geschehens, in die Nähe zumindest. Aber ich hab leider meine Auflagen.
Ich bin nur in der Morgendämmerung auf Erden geduldet, und auch nur dort, wo nicht
viel Leut’ sind. Ein Kaffeehaus vorm Aufsperr’n bietet da ein geradezu ideales Logis,
noch dazu, wenn der Ober schon da ist. Ein Schalerl Kaffee hätt’ ich gern, wenn
ich bitten darf.«
»Mit Verlaub!«
Leopold erhob sich von seinem Platz und ging mit dem seltsamen Gast nach vorn zur
Kaffeemaschine. »Wünschen der Herr vielleicht ein frisches Buttersemmerl dazu?«,
erkundigte er sich diensteifrig.
Nestroy
streckte seinen langen, dürren Zeigefinger in die Höhe. »Nur, wenn’s heutzutag’
schon wieder Semmeln in geeigneter Größe gibt. Zu meiner Zeit hat man ja eine Semmel
nur ’kauft, damit man wart’, bis sie steinhart ist, dann hat man sie statt einem
Knopf an die Jacke ang’näht. Zu was anderem war sie nicht zu gebrauchen.«
»Oh, da
brauchen Sie bei uns nichts zu fürchten. Allerbeste Qualität«, versicherte Leopold
augenzwinkernd. Schön langsam erholte er sich von seinem Schrecken und es machte
ihm Spaß, diesen seltsamen Gast zu bedienen. Nur mit dem Zahlen würde es
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