Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
Sympathie
aussortiert hatte. Er unterrichtete oft eine Klasse in zwei Gegenständen, das heißt
allein seinetwegen konnte ein Schüler zum Sitzenbleiben verdonnert werden. Mit Vorliebe
ließ er junge Knaben durchfallen. Es habe ihm große Befriedigung gegeben, den Herrn
über Sein oder Nichtsein zu spielen, sagte dieser Lehrer damals. Wenn einer der
Zuschauer gewusst hätte, um wen es sich handelt, hätte derjenige wohl nichts zu
lachen gehabt.«
»Sehen Sie!
Ich habe nämlich den Verdacht, dass eine Person, durch welche Umstände auch immer,
bei einer solchen Präsentation erkannt werden kann.«
»Aha! Soso!
Vielleicht! Auf jeden Fall wird alles nur Menschenmögliche getan, um das zu verhindern.
Jeder Anwesende bei einer Präsentation muss eine Maske tragen, der Vortragende natürlich
eingeschlossen, und es wird strikt darauf geachtet, dass man einander ohne eine
solche nicht über den Weg läuft. Das System ist kompliziert, aber es funktioniert.«
»Ich behaupte
ja nicht, dass es an der Organisation liegt. Aber jeder Mensch hat nun einmal eine
unverkennbare Stimme, dazu Gesten und Gebärden, durch die man unter Umständen feststellen
kann, wer er ist, auch wenn er eine Maske trägt. Darum würde ich mir gerne einen
Überblick verschaffen, wer alles zur gleichen Zeit wie die mir bekannte Person den
Verein frequentiert haben könnte.«
»Genau das
ist es, wovor die Anonymität schützen soll«, schüttelte Herr Roland den Kopf. »Namen
werden nicht preisgegeben. Außerdem geben die Leute großteils gar nicht ihren richtigen
Namen an.«
»Dafür brennen
sie wie die Luster.«
»Ich korrigiere:
Sie spenden für einen wohltätigen Zweck, und auch das nur, wenn sie sich zur Schau
stellen wollen. Ich bitte um etwas mehr Präzision, Herr …«
»Leopold!
Schön! Ihre Nichte arbeitet bei diesem Verein, so viel ich weiß«, kam Leopold zur
Sache. »Ich würde sie gerne sprechen, mehr will ich ja gar nicht. Sie müsste einen
Einblick haben, wer dort kommt und geht. Und ein relativ gutes Personengedächtnis
obendrein. Vielleicht könnten Sie diesbezüglich ein gutes Wort für mich einlegen.«
Herr Roland
schaute zu Herrn Otto, und der schaute wieder zurück. Schwere Verantwortung lastete
jetzt auf ihren Schultern.
»Nun ja«,
konzedierte Herr Roland.
»Immerhin«,
nickte Herr Otto.
»Es ist
ja eigentlich …«
»Genau!«
»Was ich
tun kann«, sagte Herr Roland nachdenklich vor sich hin und lutschte dabei an seinem
Brillenbügel, »ist, meine Nichte von Ihrem Ansinnen in Kenntnis zu setzen. Alles
Weitere bleibt dann wohl ihr überlassen. Ich weiß leider nicht, wie groß ihr Verantwortungsgefühl
ist.«
»Dann geben
Sie ihr diese Karte mit meiner Telefonnummer«, bat Leopold. »Sie soll einmal im
Café Heller vorbeischauen, ich bin dort praktisch immer anzutreffen. Am besten gleich
am Montag, die Sache ist nämlich dringend.«
»Soso«,
brummte Herr Roland und steckte Leopolds Karte ein.
»Wenn ich
die Herren jetzt vielleicht auf eine Runde einladen dürfte?«, erkundigte Leopold
sich vorsichtig.
»Achtung«,
mahnte Herr Roland. »Für Staatsdiener in Ausübung ihres Amtes gilt immer noch das
Delikt der Beamtenbestechung.«
»Und für
Beamte im Ruhestand?«, lächelte Leopold.
»Ist Ihr
Angebot leider im Normalfall viel zu niedrig«, stellte Herr Roland klar.
»Aha! Soso«,
seufzte Leopold und nahm nach einigem Zögern einen 20 Euroschein aus seiner Brieftasche,
den Herr Roland kommentarlos einstreifte. Als er dann noch einmal seine Hand aufhielt,
gab Leopold schweren Herzens weitere 20 Euro dazu.
13
»Die Großen der Erde sind Sterne,
folglich können sie nur dann leuchten, wenn’s finster ist.« (Nestroy: Freiheit in
Krähwinkel)
Es war Sonntag Nachmittag. Leopold
war allein zu Hause. Das nach wie vor trübe Wetter heiterte sein Gemüt keineswegs
auf. Richard Juricek hatte die Zusammenarbeit mit ihm abgebrochen, Thomas Korber
rührte sich nicht und meldete sich auch nicht am Telefon. Wie sollte Leopold da
im Fall Herwig Walters Entscheidendes zuwege bringen?
Eine stille
Melancholie ergriff Besitz von ihm. Er schaute zum Fenster hinaus und ihm war fad.
Wie fad würde ihm erst im August werden, wenn das Café Heller geschlossen hatte
und womöglich auch das Verbrechen Sommerpause hielt?
Seltsam,
welche Wandlung die Dinge nahmen, und wie träge der Geist wurde, wenn nichts los
war. Leopold drehte den Fernseher auf. Bewegte Bilder, sonst nichts. Es bewegte
sich nichts in seinem Hirn, das war das
Weitere Kostenlose Bücher