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Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)

Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)

Titel: Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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verstand. Er war auch noch nie dazugekommen,
sich eine Probe des Hochlöblichen Floridsdorfer Welttheaters anzusehen, die ihm
vielleicht mehr Aufschlüsse über das Verhalten der einzelnen Darsteller untereinander
gegeben hätte. Als er Waldemar ›Waldi‹ Waldbauer unauffällig und lustlos zur Türe
hereinschleichen sah, vergaß er deshalb auf das immer noch lästige Sausen in seinem
Kopf, und sein Herz schlug schneller. Natürlich! Er hatte ja den heutigen Nachmittag
frei und konnte tun und lassen, was er wollte. Das hätte er beinahe vergessen. Eine
ausgezeichnete Gelegenheit, die sich ihm da auftat.
    »Hast du
gut gemacht, Thomas«, lobte Leopold. »Wann gehst du denn zur Probe?«
    »Gleich,
aber vorher gib mir bitte noch einen großen Braunen«, erwiderte Korber. »Wir müssen
leider früher da sein, weil uns die Polizei wieder Fragen stellen möchte. Da wird’s
sicher um diese ominöse Erbschaft gehen. Ich bin gespannt, ob sie auch gleich den
Biedermann und die Friedl verdächtigen werden so wie du, oder ob sie sich mehr um
die kleine Anette kümmern. Wenn sie überhaupt rechtzeitig kommt. Sie ist in letzter
Zeit so komisch.«
    »Komisch?«
Leopold horchte auf.
    »Ja! Sie
hat anscheinend Angst, allein nach Hause zu gehen, bildet sich ein, sie wird verfolgt.
Gestern ist sie wahrscheinlich deshalb nicht ins Kaffeehaus mitgekommen, damit sie
noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause ist. Eigenartig, nicht wahr? Ob das mit
ihrem neuen Reichtum zusammenhängt?«
    Leopold
servierte Korber den heißen Kaffee. »Das kann man nicht wissen«, bemerkte er knapp.
»Man kann vieles nicht wissen, und deshalb werde ich heute einmal eurer Probe beiwohnen.«
    Korber fiel
aus allen Wolken. »Der Probe? Aber Leopold …«
    »Keine Widerrede!
Ich muss mir die Sache einmal als neutraler Beobachter ansehen«, beharrte Leopold.
»Vielleicht komme ich dadurch zu neuen Erkenntnissen. Ich glaube, ich brauche den
direkten Kontakt mit der Bühne. Die Theaterluft muss mich umwehen, verstehst du?
Den Nestroy als Souffleur hab ich schon, jetzt fehlt nur noch die schöpferische
Inspiration.«
    Korber verstand
überhaupt nichts. »Einen ungünstigeren Zeitpunkt hättest du dir nicht aussuchen
können«, protestierte er nur. »Es ist nur mehr etwas über eine Woche bis zur Premiere.«
    »Da sollten
wir doch vorher wissen, wer Walters umgebracht hat, oder?«, erwiderte Leopold spitzbübisch
und wieder bester Laune.
    »Na schön,
mach was du willst. Es ist ja leider nicht verboten«, gab Korber sich geschlagen.
»Ich verlasse dich jetzt. Die polizeilichen Ermittlungen, du weißt ja. Ich hoffe
jedenfalls, ich konnte deine Bedenken, meine Freundschaft betreffend, wieder ein
wenig zerstreuen. Manchmal kannst du einem ganz schön auf die Nerven gehen.«
    Er machte
einen Blick auf seine Uhr, trank rasch den Kaffee aus und legte das Geld auf die
Theke. »Danke für deine Informationen, ich glaube, sie waren sehr hilfreich«, zwinkerte
Leopold ihm zu. »Lass mir deine Geli schön grüßen. Und den Herrn Inspektor Bollek
natürlich auch.«
    Kaum war
Korber draußen, stand Waldi Waldbauer wieder in sorgsamst adjustierter Dienstkleidung
vor ihm. »Na, hat sich in den paar Tagen was getan, wo ich weg war?« erkundigte
er sich.
    »Nicht allzu
viel. Ab’gangen bist mir halt«, antwortete Leopold und machte sich zum Umziehen
bereit.
    »Wirklich?«,
kam es ungläubig von Waldi. Doch Leopold hörte nicht mehr hin. Er tat, wie so oft,
noch einen letzten prüfenden Blick in seine Lade. Da fand er wieder etwas, worauf
er zuletzt völlig vergessen hatte: die Zigarre aus dem Probenraum. Jene Zigarre,
die aller Wahrscheinlichkeit nach Herwig Walters gehört hatte.
     
    *
     
    »Hallo?«
    »Hallo,
ist dort Anette Riedl?«
    »Ja!« Ihre
Stimme stockte. Unbekannter Teilnehmer, offensichtlich männlich. »Wer spricht?«
    »Das tut
jetzt nichts zur Sache. Sind Sie schon eingeweiht? Wissen Sie bereits, welche Auswirkungen
der Tod von Herwig Walters unter Umständen auf Sie hat?«
    Natürlich
wusste sie das. Ihre Mutter hatte ihr am Wochenende alles erzählt, und sogar ihr
Stiefvater hatte sich etwas mehr Zeit als sonst zur Besprechung einer Familienangelegenheit
genommen. Was sie manchmal geahnt und zwischenzeitlich auch gehofft hatte, war mit
einem Mal Wirklichkeit geworden. Sie war die Tochter eines anderen, der, kaum hatte
sie ihn kennengelernt, bereits wieder verstorben war. Es war zunächst ein komisches
und lähmendes Gefühl, aber sie trug alles mit Fassung.

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