Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
Glas Wasser,
den kleinen Löffel und zwei Stück Zucker. Das lockt einem keine großartigen Emotionen
heraus. Aber es ist der liebgewordene Alltag, den man braucht, um sein Gemüt ohne
große Schwankungen auf Trab zu halten. Nach ein paar hunderten solcher Handgriffe
würde er sein ganz persönliches Drama wieder auf ein Abstellgleis in seinem Gedächtnis
gerückt haben. Und ab und zu würden die kleinen Ausflüge ins Kriminalistische seine
Stimmung aufhellen. Das Verbrechen hatte Gott sei Dank etwas Beständiges und war
durch keine Entwicklung in den Zeitläuften gefährdet.
Leopold
sah Herrn Otto zu, wie der wieder einmal auf intellektuell machte und mit tadellos
gescheiteltem Haar, der dicken Hornbrille sowie einem eleganten, beigen Sommersakko,
eingehüllt in eine Wolke billiges Rasierwasser, an der Theke lehnend die Zeitung
las. Er wirkte ein wenig unruhiger als sonst, kratzte sich öfter am Kinn und hatte
dann und wann schon einmal eine Schweißperle auf der Stirn. Wie einer, für den das
ganze Herbeirufen des Weltunterganges bisher eine geballte Ladung Zweckpessimismus
war und der schön langsam daran glaubt, dass seine eigenen Prophezeiungen eintreffen
könnten, dachte Leopold. Immerhin lähmte es seine Sprechwerkzeuge, und das war doch
schon ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. »Nichts Neues«, registrierte
er nur nachdenklich. »Es gibt überhaupt keine Neuigkeiten mehr. In der Zeitung steht
so gut wie nichts. Das sind die ersten Anzeichen, dass es wirklich zu Ende geht.
Das Neue wird schön langsam überflüssig. Die Bewegung lässt nach, der Stillstand
regiert.«
Dann rückte
er schweigend sein Glas zwei Zentimeter in Richtung Leopold, der es mit dem letzten
Inhalt der Flasche auffüllte. »Der Wein wird auch schon leer«, half er Herrn Otto,
seinen Trübsinn beizubehalten.
»Mit unseren
Vorräten kommen wir bis zum Tag X durch«, kommentierte der trocken. »Darauf habe
ich bereits mehrfach hingewiesen.«
Gerade zur
richtigen Zeit kam Thomas Korber zur Tür herein. Aber natürlich konnte Leopold das
nicht zugeben. Er streifte ihn zunächst nur einmal mit einem grimmigen Blick.
»Schönen
Tag allerseits«, grüßte Korber bester Laune. »Na, Leopold, warum schaust du denn
gar so grantig drein? Ist dir etwa der Schnaps gestern nicht bekommen?«
»Mir bekommen
ganz andere Sachen nicht«, erwiderte Leopold. »Zum Beispiel angebliche Freunde,
die einen dauernd im Stich lassen, wenn’s drauf ankommt.«
Korbers
Gesicht verfinsterte sich kurz. »Red nur ja keinen Blödsinn«, sagte er. »Du hast
nämlich unheimliches Glück, dass Geli Norbert und seine Freundin Nora kennenlernen
wollte. Wir waren also noch zu viert beim Fuhrmann in Jedlersdorf. Und ob du es
mir glaubst oder nicht, nach ein paar Gläsern habe ich dem lieben Norbert einige
Neuigkeiten entlockt.«
»Welche
Neuigkeiten?« Leopold war sofort ganz Ohr.
»Es gibt
keine Neuigkeiten mehr«, grummelte Herr Otto, immer hastiger die Seiten der Zeitungen
durchblätternd.
Korber zog
genüsslich einen Zettel aus der Tasche. »Ich hatte 36 Euro Spesen«, erwähnte er.
»Für nähere Auskünfte würde ich schon um eine Beteiligung deinerseits ersuchen.«
Leopold
war das natürlich gar nicht recht. Die Schnapsorgie vom Vortag hatte nicht nur seinen
Kopf, sondern auch seine Geldbörse in einem armseligen Zustand hinterlassen. Er
wollte sich gar nicht ausrechnen, wie viel Trinkgeld er kassieren musste, um den
Schaden wieder halbwegs gutzumachen, und er wollte auch nicht daran denken, dass
er wegen der zu erwartenden Urlaubssperre im August auf diese zusätzliche Einnahmequelle
eine Zeitlang gänzlich verzichten würde müssen. Er hatte sowieso keine Wahl. Zähneknirschend
nahm er einen 20 Euro-Schein hervor und drückte ihn Korber in die Hand. »Du hast
von gestern übrigens noch einen großen Braunen und ein kleines Bier offen«, machte
er ihn aufmerksam.
»Alles zu
seiner Zeit«, bemerkte Korber lächelnd.
»Jetzt fang
endlich an!«
»Es war
wirklich ein gelungener Abend«, zierte sich Korber noch ein wenig. »Geli und Nora
verstehen sich schon recht gut. Und für Norbert sind ein paar unbeschwerte Stunden
gerade das Richtige. Er kommt ganz schön dran in seinem Beruf …«
»Willst
du jetzt endlich zur Sache kommen? Ich habe nicht ewig Zeit. Schließlich bin ich
zum Arbeiten da und nicht zum Zuhören«, unterbrach Leopold ungeduldig.
»Langsam,
langsam. Noch nie etwas vom Aufbauen eines Spannungsbogens gehört? Na gut, ich will
dich
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