Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
nicht länger auf die Folter spannen. Nachricht Nummer eins: Walters hat eine
uneheliche Tochter, unsere Anette Riedl. Da nichts von weiteren Kindern bekannt
und auch bis jetzt kein Testament aufgetaucht ist, das etwas Gegenteiliges besagt,
wird sie wohl seine Erbin werden. Das Vermögen ist beträchtlich. Es geht um nicht
weniger als 1,8 Millionen Euro.«
Leopold
pfiff durch seine Zähne. »Hört, hört. Wie ist Walters denn zu dem vielen Geld gekommen?«
»Ganz einfach,
durch einen Lottogewinn«, berichtete Korber. »Das ist auch der Grund, warum man
so lange nichts von ihm gehört hat. Er hat sich einfach zurückgezogen, hat etliche
Jahre in Italien gelebt, in Grado. Dort ist angeblich auch Anette Riedl entstanden.
Ein Urlaubskind sozusagen.«
»Es wäre
interessant, ob der Wondratschek davon gewusst hat«, überlegte Leopold.
»Kann ich
nicht sagen! Vielleicht! Jedenfalls ist Walters immer zu seiner Tochter gestanden
und hat brav die Alimente bezahlt. Für Frau Riedl ist die Situation dann auch leichter
geworden, als sie ihr jetziger Mann trotz des unehelichen Kindes geheiratet hat.
Angeblich kann er selbst keine zeugen. Tja, und Anette ist, wie es aussieht, bald
eine reiche, junge Frau. Das kann der Familie nur nutzen. Die sind ganz schön verschuldet.«
Wenn du
dich nur nicht täuschst, dachte Leopold. Es war seiner Meinung nach durchaus möglich,
dass es ein Testament gab, in dem plötzlich Sonja Friedl zur Hauptbegünstigten wurde.
Warum Walters ausgerechnet ihr alles vermachen wollte, war Leopold zwar schleierhaft,
andererseits musste er seine Gründe für die Andeutungen Biedermann gegenüber gehabt
haben. Eine komplizierte Sache, durch die jetzt auch Anette Riedl und ihre Eltern
zu Verdächtigen wurden, noch dazu, wo sie das Geld anscheinend bitter nötig hatten.
»Das ist
noch nicht alles«, erzählte Korber weiter. »Was glaubst du, weshalb Walters wieder
zurückgekommen ist?«
»Interessante
Frage«, konzedierte Leopold. »Die Marie dürfte ihm ja noch nicht ausgegangen sein.«
»Sein Allgemeinzustand
hatte sich verschlechtert. Er fühlte sich nicht wohl. Er ist dann hier in Wien zu
einem Arzt seines Vertrauens gegangen.«
»Und? Etwas
Ernstes?«
»Wie man’s
nimmt. Die Polizei hat diesen Arzt gefunden und befragt. Der Gesundheitszustand
von Walters war alles andere als optimal. Er hatte einen hohen Blutdruck und schlechte
Blutwerte. Der Arzt hat ihm zu einer Durchuntersuchung im Krankenhaus geraten.«
»Walters
hat aber peinlichst vermieden, eine solche durchführen zu lassen?«, mutmaßte Leopold.
»Richtig!
War nicht schwer zu erraten, oder? Er hat lieber in Saus und Braus gelebt und sich
eingeredet, dass es mit ihm ohnehin bald zu Ende geht. Deshalb war er auch immer
so nachdenklich und unausgeglichen«, folgerte Korber.
»Und hat
sich Gedanken darüber gemacht, was nach seinem Tod mit seinem Geld geschehen soll«,
führte Leopold den Gedankengang fort.
»Das wird
wohl Anette bekommen, wer sonst?«
»Dem Biedermann
hat er jedenfalls erzählt, dass sich Sonja Friedl berechtigte Hoffnungen darauf
machen darf«, teilte Leopold Korber mit und informierte ihn kurz darüber, was er
am Vorabend erfahren hatte.
»Nicht schlecht«,
schnalzte Korber mit der Zunge. »Das ist eben das Künstlerische, das Theatralische,
der Sinn für die überraschende Wendung. Du meinst also, dass sich die Sache noch
in eine ganz andere Richtung entwickelt?«
»Durchaus
möglich. Wir müssen für alles offen bleiben«, antwortete Leopold. Er versuchte,
sich in Walters hineinzuversetzen. Welche Gedanken hatte ein Mensch, der begonnen
hatte, das Schlimmste zu befürchten? Verharrte er in trostloser Regelmäßigkeit wie
Herr Otto? Dachte er an später, an die Hinterbliebenen, daran, wer sein Vermögen
erben sollte? Ließ er sich dabei in irgendeiner Form beeinflussen?
Eine weitere
unangenehme Überlegung zischte durch Leopolds Hirn. War es doch möglich, dass Walters
in einem Anfall von Depressionen seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte? Oder
hatte sein schlechter Gesundheitszustand einen Unfall herbeigeführt? Es war leider
nicht völlig auszuschließen. Leopold wehrte sich aber nach wie vor, derlei Dinge
in Betracht zu ziehen. Es war besser, von einer anderen Annahme auszugehen: dass
Walters ein Schauspieler war, einer von jenen Burschen, bei denen man auf alles
gefasst sein musste, und denen man nicht trauen durfte, so wie Nestroy es gesagt
hatte.
Leopold
bedauerte, dass er so wenig vom Theater
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