Netha-Chrome
Ich wollte so schnell es ging eine Möglichkeit finden, sie von der Manipulation zu befreien und sie dann zu mir holen. Oder besser gesagt zu uns. Ich konnte nicht in diesem Loch bleiben und warten, bis ein Wunder geschähe und alles wieder normal war.
Nur vor dem Wie stand ein fast unüberwindbar hohes Fragezeichen. Wie sollte ich das alles bewerkstelligen? Es gab so vieles, dass ich tun musste, aber keine Ahnung hatte, wie ich es tun sollte. Wie sollte ich Tijuana auf unsere Seite ziehen? Wie sollte ich dabei helfen, den Widerstand zu reorganisieren?
Tausende von Fragen schwirrten mir durch den Kopf, während Sydney und ich dem Hacker durch die Wartungstunnel folgten. Bis wir an einem Stahlgitter ankamen, dass in seiner Mitte ein kreisrundes Loch aufwies. Anscheinend war schon jemand vor uns hier gewesen und hatte mit einer starken Energiewaffe das Loch in den massiven Stahl geschnitten, um hindurch zu gelangen. Waren es vielleicht die Widerständler gewesen, die hatten fliehen können? Und wenn ja, wie viele mochten es genau geschafft haben, den Soldaten zu entkommen? Was war uns noch geblieben?
Es war von hundertfünfzig die Rede gewesen. Wie viele davon in der Höhle waren, konnte ich nur schätzen. Und auch, wie viele den Tod gefunden hatten. Fest stand jedoch, dass der Widerstand enorm dezimiert wurde. Wenn er vorher schon kaum handlungsfähig war, dieser Angriff hatte die Lage wahrlich nicht verbessert.
„Kommt“, sagte Toluca keuchend und stieg durch das Loch. „Wir sind fast da.“
Sydney und ich folgten brav, bis unsere Gruppe das Ende des Wartungstunnels erreichte. Die meisten Bereiche der unteren Ebenen kannte ich nur vom Hörensagen und von Stream-Bildern, die es in die Nachrichten geschafft hatten, wenn hier mal wieder irgendetwas passiert war. Umso mehr gingen mir die Augen auf, als wir den riesigen, unteririschen Komplex betraten, der sich da gerade vor uns auftat. Es war, als stünden wir im Inneren eines gigantischen Zylinders. In der Mitte vor uns gähnte ein großes rundes Loch, das so tief war, dass man den Boden nicht sehen konnte. Darüber waren dutzende Schwebebrücken gespannt, die die Wohnblöcke miteinander verbanden. Hunderte von Menschen eilten gesellig umher, hielten Smalltalk auf den Brücken oder arbeiteten an den metallenen, schwarzen Fassaden der Wohnzellen. Alles war hell erleuchtet, ganz anders als in den Geschichten über die dunklen Ebenen, die ich kannte. Die Luft roch abgestanden und war ziemlich stickig, das Thermometer meines Nano-Bosses kletterte langsam jenseits von dreißig Grad.
„Ganz schön warm hier unten“, bemerkte ich trocken, schlug meinen Mantel zurück und streckte meine Nase in die Luft. „Und was zum Geier riecht hier so?“
Es war ein süßlicher, aber dennoch stechender Duft, der da plötzlich meine Nasengänge malträtierte. Toluca schaute mich an und lächelte verschmitzt.
„Viele hier unten leben von der Herstellung von Synth-Zigarren und allerlei anderen…ähm, Genussmittel.“
Ich lupfte eine Augenbraue, sagte aber nichts weiter dazu. Ich konnte mir schon denken, welche Genussmittel der Hacker meinte.
„Wohin jetzt?“, fragte Sydney unbeeindruckt, während ihre wachsamen KI-Blicke über die Wohnblöcke streiften.
„Ich kann euch eine Weile in meiner Wohnzelle unterbringen“, antwortete der Regulat. „Da ist es zwar ein wenig eng, aber besser als nichts.“
„Du hast nie erzählt, dass du hier unten lebst“, warf ich etwas überrascht ein. Toluca zuckte die Achseln.
„Ich fand es nicht erwähnenswert. Außerdem bin ich wahrlich nicht stolz darauf, hier leben zu müssen, weißt du? Und irgendwie wohne ja nicht wirklich hier. Die meiste Zeit verbringe ich im Gebilde . Das lenkt mich von der beschissenen Realität ab.“
„Dann steht deine Hyperschlaf-Einheit in deiner Wohnzelle?“, wollte ich wissen. Damals hatte ich mich gefragt, wo die Hacker ihre Körper „abstellen“, um ihren Geist in das Gebilde zu transferieren. Toluca nickte.
„Ja, was dachtest du denn? Hast du erwartet, dass wir uns eine riesige Lagerhalle gemietet haben, die mit dutzenden Hyperschlaf-Einheiten vollgestopft ist und aussieht wie Frankensteins Labor?“
„Ich muss zugeben, ja“, schmunzelte ich. „Das habe ich.“
Toluca lachte leise und ging weiter. Wir stiegen eine kleine, ziemlich wackelige Metallleiter hinunter und schwenkten auf eine der Schwebebrücken ein, immer argwöhnisch von zahlreichen Augenpaaren der umherlaufenden Untergrundler
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