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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Indianermädchen.
    Als ich jetzt an Dons Eßtisch saß und
mein drittes Glas Wein leerte, fühlte ich mich noch immer merkwürdig hin- und
hergerissen zwischen zwei verschiedenen Welten. Da war die Welt der Vergangenheit,
als Greg und ich zusammen gewesen waren; die Welt der Gegenwart und mein
gemütliches Leben mit Don. Die Gewalt im Tenderloin, in dem ein Menschenleben
eine billige Ware war; die Sicherheit seines Speichers, wo Musik und Liebe kostbare
Güter waren.
    Verwirrung stieg in mir auf, und ich
wußte, daß darauf bald Tränen folgen würden. Ich sollte besser zu trinken
aufhören, sagte ich mir, und ins Bett gehen, ehe ich ganz rührselig wurde.
    Ich kippte den Rest meines Weins in die
Spüle, stieg die Treppe von der Galerie hinunter und ging auf die andere Seite,
um die Lichter über dem riesigen Mittelraum auszuschalten. Dann kletterte ich
auf die kleinere Galerie, schlüpfte aus meinen Kleidern und kroch in das breite
Bett unter dem Oberlicht. Für Dezember war es eine klare Nacht, und als ich
dort auf dem Rücken lag, konnte ich Sterne und hochfliegende Wolkenfetzen durch
das Dachfenster sehen.
    Es war fast zwei Uhr früh. Genau jetzt
würden sie in Dons Lieblingsbar die letzte Bestellung aufgeben, in der Blue
Lagoon in der Army Street, nicht weit von den KSUN-Studios. Vor der
Aids-Epidemie war das Lagoon ein Schwulenbad gewesen; jetzt war es in eine Bar
mit tropischem Anklang umgebaut worden, und ein beheizter Hof mit
schmiedeeisernen Tischen umgab einen Swimming-pool olympischer Größe. Don und
die Musiker, die er interviewt hatte, würden dort an dem türkisfarbenen Wasser
sitzen...
    Und dann war ich wieder im Globe Hotel.
Im Keller. Kniete neben Hoa Dinhs gekrümmter Gestalt, und um mich her roch es
nach Tod —
    Ich fuhr hoch, drehte mich um, schob
die Kissen unter meinem Kopf zusammen. Sie rochen nach Don, nach seinem
Talkumpuder, dem Spray, das er — erfolglos — einsetzte, um sein dichtes,
schwarzes Haar zu bändigen. Ich umklammerte sie fester, atmete tief, wandte den
Kopf und warf einen Blick auf die orangefarbenen Zahlen der Digitaluhr. Kurz
nach drei.
    Wahrscheinlich waren sie noch
irgendwohin gegangen, um zu essen. Oder in eine der vielen Kneipen, die Don
kannte, die länger geöffnet waren. Don würde bald hier sein. Ich mußte mich nur
entspannen und schlafen.
    Aber die blutigen Bilder kehrten
wieder, und ich warf mich herum. Komm doch, Don, dachte ich. Komm heim und
halte mich. Halte mich fern von diesem Keller... von diesem Toten... von dieser
anderen Welt, in der ich nicht mehr sein will...
     
     
     

NEUNTES
KAPITEL
     
    Als ich am nächsten Morgen auf die
Küchengalerie kletterte, stand Don am Herd und briet Eier. Er war gegen vier
Uhr neben mir ins Bett geklettert, roch nach Wein und abgestandenem
Zigarettenrauch, und war schon eingeschlafen, ehe ich mehr als »Hallo« sagen
konnte. Aber er hatte unruhig geschlafen, hatte sich hin und her gewälzt und
vor sich hin gemurmelt, und jetzt konnte ich erkennen, warum. Allem Anschein
nach hatte Don einen prächtigen Kater.
    Das fand ich nun ausgesprochen
merkwürdig. Don trank gern, aber selten etwas stärkeres als Rotwein. Und er
bekam niemals einen Kater.
    Ich ging zu ihm und gab ihm einen Kuß.
Er griff um mich herum und klopfte mir aufs Hinterteil. »Was macht die alte
Kriegsverletzung?« In letzter Zeit war das sein ritueller Kommentar, mit dem er
auf die Schußwunde anspielte, die mir vor kurzer Zeit ein Fall dort eingetragen
hatte.
    Ich war nicht in der Verfassung, mir
eine bissige Antwort einfallen zu lassen. Also nahm ich nur den Teller
entgegen, den er mir reichte, und trug ihn zum Tisch. »Harte Nacht?« erkundigte
ich mich, setzte mich und beäugte die Eier voll Abscheu.
    Er lächelte schwach und setzte sich mir
gegenüber, die Kaffeetasse in der Hand. »Tja.«
    »Ißt du nichts?«
    »Nee, kommt nicht in Frage, so, wie ich
mich fühle.«
    »Hmmm.« Mit der Gabel teilte ich das
Eigelb und fing an, es auf dem Teller zu verschmieren. »Willst du es mir
erzählen?«
    Er nippte an seinem Kaffee und verzog
das Gesicht. »Wo soll ich anfangen? Also, die Aufnahme mit der Band lief gut.
Aber dann sind wir ins Lagoon, um was zu trinken. Und diese Band besteht aus
Säufern! Die haben es auf die harte, rauhe Art geschafft — du weißt schon, lange
Tourneen, Alkohol, Drogen, was du willst. Ich konnte mit denen nicht mithalten —
hab’s nicht mal versucht.«
    »Nein?« Ich musterte ihn skeptisch.
    »Na ja, vielleicht ein

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