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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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»Ist alles in Ordnung mit dir?« Wie
seine vorherige Witzelei war auch das eine Rückblende auf die Zeit, als wir noch
zusammen waren, und sie erweckte in mir ein Gefühl, das ich verdrängt hatte.
    »Mir geht’s gut, danke.«
    Er nickte. Thema beendet. »Erzähl mir,
was passiert ist.« Jetzt war sein Ton sorgfältig neutral, sein Gesicht
ausdruckslos. Erleichtert erkannte ich, daß er mich behandeln wollte, als wäre
ich eine vollkommen Fremde, die angerufen hatte, und ich war froh, daß er diese
Haltung eingenommen hatte. Das würde unseren Umgang miteinander viel leichter
machen.
    Ich machte ihn mit Carolyn bekannt und
erklärte, warum sie mich angestellt hatte. Ich berichtete von meiner Ankunft im
Hotel und dem, was ich angetroffen hatte. Während meines Berichts kehrten die
Vangs zurück und riefen einige Verwirrung zusätzlich hervor. Mary Zemanek
tauchte aus ihrer Wohnung auf, um zu sehen, was der Lärm zu bedeuten hatte, und
bejammerte sofort das Mißfallen des Eigentümers, das ein solches Ereignis
heraufbeschwören würde. Mr. Dinh, Hoas Vater, identifizierte den Leichnam
seines Sohnes. Seine schwangere Frau stand mit stummem Kummer neben ihm. Sie
hatte auf der Flucht aus der Heimat zwei Kinder verloren, erzählte Carolyn;
auch wenn sie an einen derartigen Verlust nicht gewöhnt war und nicht
abgehärtet war, so wurde sie doch besser damit fertig als die meisten anderen.
    Endlich waren die Fragen vorüber. Die
Männer vom Labor verabschiedeten sich, und die Leute von der Gerichtsmedizin
verließen das Gebäude mit dem Toten. Carolyn ging mit den Dinhs nach oben und
erklärte, wir würden unser Treffen mit den Vangs auf morgen verschieben. Greg
sah mich an. »Soll ich dich zu deinem Wagen bringen?«
    »Du mußt nicht — «
    »Kein Problem.«
    Schweigend gingen wir die Straße
entlang zum Parkplatz. Die Huren und Säufer gingen uns in weitem Bogen aus dem
Weg, als fühlten sie, daß Greg ein Bulle war. Er schob seine Hand unter meinen
Ellbogen — ganz formell, ungefähr so, wie er auch eine alte Tante führen würde.
Keiner von uns sagte ein Wort, bis ich dem Wächter die Parkplatzgebühren
bezahlt hatte und wir neben meinem Auto standen.
    »Danke, daß du mich hergebracht hast.«
    »Schon gut.« Er machte eine Pause.
»Bist du sicher, daß du okay bist?«
    »Ja. Aber ich wollte dich fragen — kann
ich an meinem Fall bleiben?«
    Belustigung blitzte in seinen Augen
auf. »Würde es etwas ändern, wenn ich nein sagen würde?«
    »Ja, wahrscheinlich schon.«
    »In der Vergangenheit hat es das aber
nicht getan.«
    Diesen alten Zankapfel wollte ich jetzt
lieber nicht wieder ausgraben. »Hör mal, das ist lange her«, sagte ich also.
»Ich bin inzwischen älter geworden; die Leute verändern sich mit den Jahren.«
    »Ach ja?« Einen Moment lang blickten
seine Augen weit fort. Dann sagte er: »Also gut, bleib dran an der Sache. Ich
weiß, daß du mich über alle wichtigen Entwicklungen auf dem laufenden halten
wirst. Und ruf mich jederzeit an, wenn du Informationen brauchst.«
    »Danke.« Ich sperrte die Autotür auf.
    Er blieb noch stehen, die Hände in die
Taschen seines Mantels geschoben, das blonde Haar leuchtete im Licht einer
nahen Straßenlampe. »Wie ist es dir überhaupt so ergangen?«
    »Ziemlich gut. Und dir?«
    »Auch. Triffst du dich noch mit diesem
Discjockey?«
    »Ja.« Ich zögerte, und als er nichts
weiter sagte, fragte ich: »Was ist mit dir — hast du jemanden?«
    »Ja, seit ungefähr sechs Monaten. Nette
Lady, macht die gesamten Entwürfe für eine der großen Bekleidungsfirmen. Sie ist
viel unterwegs, aber das ist schon in Ordnung. Ich hatte ja noch nie
Gelegenheit, mich an jemanden zu gewöhnen, bei dem jeden Abend das Essen auf
dem Herd auf mich wartete.«
    »Ich fürchte, da hast du recht.«
    Dann tat er etwas Überraschendes: Er
beugte sich vor, legte eine Hand auf meine Schulter und küßte mich leicht auf
die Wange. »Paß auf dich auf, ja?«
    Er drückte meine Schulter, wandte sich
abrupt um und verließ den Parkplatz. Ich fuhr mir mit der Hand an die Wange und
starrte ihm verblüfft nach.
    Das war doch das Verrückteste, was er
tun konnte, dachte ich.
    Und was noch überraschender war als der
Kuß, war eine andere Tatsache: Nicht ein einziges Mal, seit er an diesem Abend
ins Hotel gekommen war, hatte mich Greg mit diesem Namen belegt, der eine
Beleidigung war, weil ich ein Achtel Indianerblut in den A dern
hatte, mit diesem verdammten Spitznamen, den er für mich hatte

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