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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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beleuchteten.
    Don war nicht da, aber das hatte ich
auch nicht erwartet. Er nahm heute eine seiner Talk-Shows mit berühmten Leuten
auf, mit einer Band, die nur in der Stadt war, weil sie eine Holiday-Show im
Cow Palace gaben. Da Musiker nun einmal Nachtmenschen sind, war die Aufnahme
für zehn Uhr angesetzt worden, und anschließend würden sie noch alle zusammen
ausgehen, etwas trinken und sich gegenseitig kreative Lügen erzählen. Ich
rechnete erst mit Don, wenn die Bars geschlossen hatten, gegen zwei — wenn
nicht später.
    Aber ich hatte nicht nach Hause gehen
wollen, nicht nach dem, was im Globe passiert war. Und ich wußte, irgendwann
würde Don kommen. Für den Augenblick genügte es, einfach hier zu sein, zwischen
seinen Schätzen. Don ist ein Mensch, der einen großen Teil von sich selbst an
jedem Ort zurückläßt, den er bewohnt, und ich konnte seine tröstende
Persönlichkeit fast fühlen. Ich ließ meinen Mantel auf einen Kissenstapel auf
seinem großen blauen Teppich fallen, ging dann zum Klavier hinüber, fuhr mit
den Fingern über die Tasten und schlug schließlich das mittlere C an. Der Ton
hallte verloren durch den hohen Raum — so verloren, wie ich mich fühlte.
    Das Mordopfer im Hotel war als Hoa Dinh
identifiziert worden, sechzehn Jahre alt, ältester Sohn einer Familie aus dem
sechsten Stock und Duc Vangs bester Freund. Hoa war erst zehn Jahre alt
gewesen, hatte Carolyn mir erzählt, als seine Familie zusammen mit vierzig
anderen Menschen Vietnam in einem Frachtschiff verlassen hatte. Das Schiff wäre
fast gesunken und war, nachdem die Maschinen versagten, eine Woche lang im
Südchinesischen Meer getrieben, ehe Hilfe kam. Auf Umwegen war Hoa dann nach
Amerika gekommen; hatte Angst, Entbehrungen und Ungewißheit kennengelernt; war
zwischen zwei Umsiedlungslagern hin- und hergeschoben worden, konnte weder die
Sprache sprechen noch die sonderbaren, ungenießbaren Speisen essen. In San
Francisco war er von einem Apartment zum anderen gezogen, hatte die Qualen der
Klasse erduldet, die Englisch als Fremdsprache sprechen, und hatte schließlich
angefangen, an Elektronik-Kursen teilzunehmen, die ihm eine leuchtende Zukunft
verhießen.
    Das alles hatte er durchgemacht, und
dann, im Alter von sechzehn Jahren, hatte es für ihn damit geendet, daß er im
Keller eines Tenderloin Hotels zu Tode geknüppelt worden war.
    Ich verließ das Piano und kletterte auf
die große Galerie linker Hand, wo sich die Küche und der Eßbereich befanden.
Auf der gegenüberliegenden Seite war eine kleinere Galerie, wo Don unter einem
der Oberlichter schlief. Er hatte diese Wohnung im Oktober gefunden, nachdem er
aus seiner Wohnung geflogen war, weil sein Klavierspiel die Nachbarn störte,
und sie war ideal für ihn. Alle Räume in dem umgebauten Lagerhaus waren
schalldicht, und selbst wenn sie es nicht gewesen wären, hätte Dons Musik die
anderen Mieter nicht gestört, die zu den merkwürdigsten Zeiten kamen und
gingen. Einige lebten hier im Gebäude, andere verfolgten hier nur ihre unterschiedlichen
künstlerischen Ziele.
    Nachdem ich mir Weißwein aus dem
Kühlschrank genommen hatte, setzte ich mich an den Eßtisch aus Eiche. Ich
wollte die Vorkommnisse im Globe Hotel aus meinem Hirn streichen; am liebsten
hätte ich so viel getrunken, daß die Bilder ausgelöscht worden wären, die sich
in mein Gedächtnis geprägt hatten. Aber das würde mir nicht gelingen. Erstens
gab es nicht genug Wein, um sich richtig zu betrinken; und selbst wenn, dann
hätte es keine noch so große Menge Alkohol geschafft, mir zu helfen. Ich war
noch nie in der Lage gewesen, meinen Verstand abzuschalten — weder durch
Willenskraft noch durch Alkohol oder Beruhigungstabletten — , und ich wußte;
ich hatte eine schlimme Zeit vor mir.
    Als Greg Marcus mich vor über zwei
Stunden in der Eingangshalle des Hotels entdeckt hatte, hatte er eine blonde
Braue hochgezogen und ironisch gemeint: »Wir müssen aufhören, uns bei solchen
Anlässen zu treffen.«
    Ich hatte schwach gelächelt und mich
noch weiter aufgerichtet, wollte einen beherrschten, professionellen Eindruck
erwecken. Es schien, als sollte ich langsam besser mit diesen Dingen fertig
werden, nach all den Jahren und all der Gewalttätigkeit. Aber ich wurde es
nicht. Mir war immer noch übel, und ich hyperventilierte immer noch und schämte
mich dafür, vor allem, wenn ich vor einem Profi wie Greg so reagierte.
    Während er mein Gesicht beobachtete,
trat Sorge in seinen Blick, und er fragte:

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