Nette Nachbarn
war, würde die Hektik der
Mittagsstunde vorüber sein. Es wäre sicher eine gute Zeit für uns, um uns zu
unterhalten.
Nachdem ich in die Stadt gefahren war,
parkte ich den Wagen in der Garage unter dem Union Square und bahnte mir meinen
Weg über den von Menschen wimmelnden Bürgersteig bis zum Straßenrand gegenüber
von I. Magnin. Sallies Stand befand sich schräg gegenüber vom Kaufhaus
Neiman-Marcus, und ich konnte sie — heute in leuchtendes Grün gehüllt — auf
einem Schemel darin hocken sehen.
Während ich auf grünes Licht wartete,
warf ich einen Blick auf die Türme des St. Francis Hotels, in denen gläserne
Fahrstühle um die Wette zur Spitze rasten. Mit den Blicken folgte ich einem
nach unten, und dann betrachtete ich den Platz selbst. Eine alte Frau auf einer
Bank auf der gegenüberliegenden Seite fütterte die Tauben, und große Schwärme
von ihnen stießen herab auf ihre Füße. Gutgekleidete Fußgänger hasteten die
Bürgersteige entlang, ohne sich um einen Nikolaus der Heilsarmee zu kümmern,
der dort stand, wo sich die Wege kreuzten, oder um die Penner, die im Gras
lagen und die letzten schwachen Strahlen der Dezembersonne aufsaugten. Als der
Pfiff des Verkehrspolizisten erklang, machte ich mich auf den Weg über die
Geary Street auf den riesigen Zuckerwürfel des I. Magnin zu.
Auf dem Fußweg vor dem Kaufhaus
wirbelte ein Tänzer in rotem Samtanzug herum — einer von San Franciscos vielen
Straßenkünstlern. Passanten und Käufer umstanden ihn in einem dichten Kreis.
Drei Musiker — ein Banjo-Spieler, ein Gitarrist und ein Ziehharmonika-Spieler —
begleiteten die graziösen Drehungen des Mannes mit einer verjazzten Version von
»The Little Drummer Boy«. Er glitt dahin, blieb nach einer abrupten Pirouette
direkt vor einer dicken Frau im Pelzmantel stehen, wirbelte dann weiter. Mit
einem riesigen Schritt streckte er ein langes Bein aus, tanzte dann wieder
davon, die roten Frackenden flogen durch die Luft. Ich blieb ein Weilchen
stehen und sah ihm zu, ehe ich zu Sallies Verkaufsstand weiterging.
Sie befestigte gerade einen
Weihnachtsschmuck aus roten und weißen Nelken am Kragen einer Touristin,
während der männliche Begleiter der Frau stolz zusah. Sallie grinste mich an,
zeigte ihre lückenhaften Zähne und deutete auf das davongehende Paar. »Ist das
nicht nett? Sie sind in Ferien, und er kauft etwas Besonderes für sie. So
fühlen sie sich beide gut.«
»Ich denke, das ist wohl auch der Sinn
von Ferien«, sagte ich und dachte daran, wie Don mir eine kleine Tuschezeichnung
von einem Landgasthof gekauft hatte, in dem wir übernachtet hatten, als wir im
letzten Herbst für ein Wochenende ins Gold Rush Country gefahren waren. Jetzt
hing es an der Wand in meinem Wohnzimmer, und ich will verdammt sein, wenn wir
nicht beide ein gutes Gefühl hatten, wann immer wir es anschauten.
»Sind Sie hergekommen, um Ihre
Weihnachtseinkäufe zu erledigen?« erkundigte sich Sallie. »Oder wollen Sie mit
mir sprechen?«
Ich bekam ein etwas schlechtes
Gewissen, weil ich immer noch nichts besorgt hatte, erklärte aber doch: »Ich
wollte mit Ihnen reden.«
Sie ließ mich in ihren Stand und
deutete auf einen Schemel. Ich setzte mich und sah ihr zu, als sie die
verwelkten Blumen aus einem Strauß Tausendschön zupfte. Ihre Hand schwebte über
einem Behälter mit langstieligen Rosen, dann sank sie schlaff an ihre Seite.
»Es ist schrecklich, so jung zu sterben«, sagte sie.
»Hoa Dinh.«
»Ja. Erst vorgestern habe ich zu seiner
Mutter gesagt, sie müßte keine Angst haben. Was war ich für ein Dummkopf, daß
ich glauben konnte, diese Geräusche und Pannen wären nur Streiche.«
»Was haben Sie geglaubt, wer hinter
diesen Streichen steckte?«
Ehe sie antworten konnte, klopfte ein
junger Mann im Geschäftsanzug ungeduldig auf den Ladentisch und zeigte auf die
Rosen. Sallie drehte sich um, um ihm zu helfen, wählte ein paar aus und
wickelte sie in hellgrünes Papier. Nach einigem Überlegen entschied sie sich
für ein malvenfarbenes Band, mit dem sie das Päckchen zusammenhielt. Als sie
sich wieder zu mir umdrehte, funkelten ihre Augen.
»Tut mir weh«, erklärte sie, »wenn die
Leute sich nicht einmal die Mühe machen, ihre Blumen selber auszusuchen.
Wahrscheinlich hatte er Streit mit seiner Frau und bringt sie ihr jetzt als
Friedensangebot. Arme Frau — die Ehe wird nicht halten. Er kümmert sich nicht
einmal darum, ob die Rosen für sie frisch sind.«
Ich lächelte, als ich begriff, da sie
sich
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