Nette Nachbarn
nicht für uns.«
Ich wartete.
»Die meisten meiner Leute verstehen das
nicht«, fügte Duc schließlich noch hinzu. »Ich kann auch nicht erwarten, daß
Sie es tun.«
»Versuch doch, es mir zu erklären.«
Es war, als hätte ich eine Barriere
durchbrochen, eine die einfach deshalb da war, weil sich früher noch niemals
jemand die Mühe gemacht hatte, ihn zu fragen. Duc kam auf mich zu, die Hände
ausgestreckt, wild gestikulierend. »Ich sehe es ständig. Meine Leute, die sich
in Amerika niederlassen. Sie sehen sich um, und plötzlich müssen sie haben.«
»Was haben?«
»Alles.« Die Gesten wurden ausholender.
»Jemand hat ein Fernsehgerät. Dann muß der Neuankömmling einen Fernsehapparat
haben. Dieser hier hat eine Stereoanlage. Der Neuankömmling muß eine
Stereoanlage haben, sobald er ein bißchen Geld gespart hat. Meine Schwestern — Sie
haben sie ja gesehen. Die Jeans, die T-Shirts mit den dummen Sprüchen darauf.
Make-up. Hohe Absätze. Meine Eltern sind auch nicht besser. Sie erklären, wir
müssen sparen, damit wir ins Sunset-Viertel umziehen können. Wir müssen ein
großes Haus haben und ein Auto. Sie werden das Haus anfüllen mit Möbeln und...
und... Sachen!« Wild warf er die Arme hoch.
Ich sagte besänftigend: »Ist es nicht
nur natürlich, daß sie es genauso komfortabel haben möchten wie in Vietnam?«
»Komfortabel, ja! Aber sie suchen sich
die schlimmsten Sachen in Amerika aus und machen sie sich zu eigen. Sie sind so
erpicht darauf, sich hier anzupassen. Und um hierhin zu passen, müssen sie alle
Unterschiede ausmerzen. Sie müssen vergessen, wer wir wirklich sind.«
»Und wer seid ihr?«
»Vietnamesen! Wir haben eine Kultur,
eine Identität. Und das ist es, was sie fortwerfen würden.«
Ich dachte an die asiatischen Jugendlichen,
die ich in ihren PS-starken Wagen durch die ganze Stadt rauschen sah, während
aus den Stereo-Kassetten-Recordern Rock-Musik dröhnte. Ich rief mir die
orientalischen Familien vor mein geistiges Auge, die ich manchmal in dem
Ausstellungsraum eines Versandhauses sah, den ich gelegentlich aufsuchte. Ich
sah sie riesige Mengen einer Ware bestellen, von der man in ihrer Heimat noch
niemals etwas gehört hatte. Manchmal übernahmen sie tatsächlich die schlimmsten
Marotten und Vorlieben, die Amerika zu bieten hatte.
»Und was wolltet ihr, du und all die
anderen, dagegen unternehmen?«
»Unternehmen?« Duc sah mich überrascht
an.
»Aus der Art, wie du dich kleidest,
schließe ich, daß du nicht einverstanden bist mit Jeans und T-Shirts. Und du
hast mir erzählt, daß ihr nicht in die Spielhallen und ins Kino geht. Aber was
habt ihr statt dessen getan?«
Ein sonderbarer Ausdruck trat auf sein
Gesicht, und er wandte sich wieder dem Fenster zu. »Ich verstehe nicht.«
»Ich denke doch. Was ich wissen will,
ist meine ursprüngliche Frage — wie habt ihr, du und Hoa und die anderen, eure
Zeit verbracht?«
Er blieb stumm.
»Du hast erklärt, ihr seid ›in der
Nachbarschaft herumgelaufen‹. Und was habt ihr dabei getan?«
Nach einer Weile antwortete er: »Wir
sind gegangen. Wir haben geredet. Wir haben uns die Stadt angeschaut, haben uns
angesehen, was hier passiert.«
»Und?«
»Und was?«
»Was dachtet ihr von dem, was hier
passiert?«
Seine Stimme, als er dann sprach, war
die eines kleinen Jungen. »Es hat uns nicht gefallen. Wir mochten es immer
weniger. Es erweckte in uns den Wunsch...«
»Ja?«
»Wir verspürten den Wunsch
heimzukehren, in ein Land, das für uns für immer verloren ist.«
Ich konnte Duc nicht dazu bewegen, mir
mehr zu erzählen, außer den Namen und Wohnungsnummern von zwei weiteren jungen
Männern aus dem Hotel, die mit Hoa Dinh befreundet gewesen waren. Nachdem ich
mir die Information aufgeschrieben hatte, entschuldigte sich Duc und erklärte,
er müßte nun zur Arbeit in das Restaurant der Familie gehen. Ich stieg über die
Feuertreppe in den fünften Stock, wo Hoas andere Freunde wohnten, hoffte, sie
daheim anzutreffen, erhielt aber keine Antwort auf mein Klopfen. Dann dachte
ich an Sallie Hyde; in Anbetracht ihrer mütterlichen Haltung den anderen
Hausbewohnern gegenüber wußte Sallie wahrscheinlich mehr darüber, was in diesem
Hotel vor sich ging als irgend jemand sonst.
Wieder im vierten Stock klopfte ich an
Sallies Tür, erhielt aber ebenfalls keine Antwort. Natürlich — gestern war ihr
freier Tag gewesen, also würde sie heute an ihrem Blumenstand am Union Square
arbeiten. Es war inzwischen nach eins; bis ich dort
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