Nette Nachbarn
Fragen
stellen wollen.«
Das Restaurant war klein, mit ungefähr
zehn Tischen aus hellem Naturholz. Eine einzelne Nelke in einer bauchigen
Glasvase stand auf jedem Tisch, und an den Wänden hingen Grasmatten. Auf
Postern von Fluggesellschaften, die in regelmäßigen Abständen angebracht waren,
sah man verschiedene Szenen aus Südostasien.
Lan Vang stand hinter der Kasse neben
der Tür und addierte einen Stapel Rechnungen. Sie sah zwar müde aus, aber in
dem königsblauen Kleid, das ihre helle Haut hervorhob, erkannte ich zum
erstenmal, wie hübsch sie war. Als sie Carolyn und mich erblickte, erhellte
sich ihr Gesicht, und sie führte uns mit großer Zeremonie zu einem Tisch. Dann
verschwand sie durch die Pendeltür am Ende des Restaurants, klatschte in die
Hände und rief etwas in Vietnamesisch.
Obwohl es schon spät war, saßen an den
anderen Tischen noch Gäste, alles Asiaten. Ich wandte mich an Carolyn. »Sieht
aus, als wäre das hier ein beliebtes Restaurant.«
»Wenn du das Essen probiert hast, wirst
du auch wissen, warum.«
»Wie lange sind die Vangs schon im
Geschäft?«
»Ungefähr drei Jahre. Als sie in dieses
Land gekommen sind, haben sie sich zuerst einmal alle Arbeit gesucht — alle,
außer den ganz Kleinen. Halbtags, ganztags, alles, was ihnen irgend jemand nur
geben wollte. Als sie dann ein bißchen Kapital hatten, haben sie sich bei ihren
Freunden noch mehr geliehen, so, wie es die Asiaten tun, ohne Zinsen und ohne
festen Rückzahlungstermin. Jetzt bringt das Restaurant allmählich Profit, und
die meisten der Darlehen sind zurückbezahlt.«
Lan kehrte mit einer Kanne Tee, zwei
Tassen und den Speisekarten zurück. Nachdem sie wieder in die Küche gegangen
war, fuhr Carolyn fort: »Natürlich haben die Vangs auch Glück gehabt. Das hier
ist eine gute Lage, an einer gut beleuchteten Ecke, und der Besitzer scheint
nicht daran interessiert zu sein, die Miete zu erhöhen. Das war für viele der
Geschäfte hier ein Problem — ihr Erfolg behindert sie.«
»Wie das?«
»Normalerweise ist das Tenderloin als
Geschäftsviertel so uninteressant, daß gewerbliche Flächen nicht vermietet
werden können. So ist es unseren Leuten möglich, ihre Geschäftsräume billig zu
bekommen — die Vangs zahlen zum Beispiel nur dreihundertundfünfundsiebzig
Dollar monatlich für dieses Restaurant. Aber dann richten sie die Räume her und
fangen an, Gewinn damit zu machen, und die Besitzer erkennen, daß ihr Besitz
letztendlich doch etwas wert ist. Also schrauben sie entweder die Miete hoch
oder vertreiben die Mieter, die alles hergerichtet haben, damit sie es an
jemanden vermieten können, der eine weit höhere Miete zahlen kann.«
»Gibt es denn keine Gesetze dagegen?«
»Du denkst an Mietkontrolle; für
gewerblich genutzte Flächen gilt das nicht.«
»Aber kann man denn gar nichts dagegen
tun?«
Wieder sah Carolyn mich müde an. »Ein
bißchen. Eine unserer Schwesterorganisationen, das Center for Southeast Asian
Resettlement, hat in der O’Farrell Street ein Gebäude als Hauptquartier
gekauft, in dem darüber hinaus medizinische Einrichtungen, Gemeinschaftseinrichtungen
und Flüchtlingsläden untergebracht sind. Sie halten die Mieten stabil für die
paar Geschäfte, die sie unterbringen können. Es ist nur ein Tropfen auf den
heißen Stein, aber ich hoffe, daß wir eines Tages in der Lage sein werden,
etwas Ähnliches zu tun, und dann folgen vielleicht andere Gruppen unserem
Beispiel. Bis dahin...«
Eine der Vang-Töchter — Susan — kam an
unseren Tisch, den Block in der Hand, um unsere Bestellung entgegenzunehmen.
Ich griff nach der Speisekarte, aber Carolyn winkte ab. »Laß mich bestellen.«
Sie sagte schnell etwas auf vietnamesisch, und Susan lächelte und kritzelte auf
den Block. Als sie sich umdrehte, um in die Küche zurückzugehen, fragte ich:
»Susan, ist Dolly heute hier?«
»Nein. Sie schreibt morgen früh eine
Klassenarbeit und ist früh heimgegangen, um sich vorzubereiten.«
Ich dachte an die andere ›Prüfung‹, die
Dolly kürzlich gemacht hatte. »Was lernt sie denn?«
»Steno, im College. Sie möchte
Sekretärin werden.«
Offensichtlich behielt Dolly ihre
wirklichen ehrgeizigen Pläne für sich. »Was ist mit Duc? Arbeitet er heute
abend?«
»Nein, Duc auch nicht. Der Kummer über
den Tod seines Freundes belastet ihn noch immer sehr, und unser Vater hat
entschieden, daß er etwas Zeit für sich selbst haben sollte.«
Ich nickte, und Susan ging in die
Küche.
»Warum interessierst
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