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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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höher, die Luft frisch gewaschen, und die Menschen der Nacht
waren aus ihren Winkeln aufgetaucht, in denen sie Schutz gesucht hatten. Dolly
wand sich geschickt zwischen ihnen hindurch, ohne die aufreizenden und
lüsternen Bemerkungen auch nur zu hören, die uns manche Männer nachriefen.
    Nachdem wir um ein paar Ecken gebogen
waren, begriff ich, daß sie mich nicht zum Globe Hotel führte, wie ich
ursprünglich vermutet hatte. Statt dessen schien die Market Street ihr Ziel zu
sein. Wir gingen an einem besonders dunklen Block mit einer Reihe ausgebrannter
und zugenagelter Häuser vorüber, und ich spähte mißtrauisch in die Schatten.
Dolly jedoch schien sich ihrer Umgebung überhaupt nicht bewußt zu sein.
    Vor uns wurden die gedämpften
Straßenlampen sichtbar, die die Market Street säumten. Einen halben Block von
der Ecke entfernt blieb Dolly abrupt stehen und ließ meine Hand los. Ich sah
mich um und begriff, daß wir uns in der Seitenstraße neben dem Crystal Palace
Theatre befanden. Auch an dieser Seite des Gebäudes zog sich das Gerüst
entlang, und darunter parkte ein schwarzer Ford Bronco. Otis Knox besaß einen
schwarzen Bronco; ich hatte ihn erst vor wenigen Stunden gesehen, als er
zwischen den goldenen Bögen vor seiner Ranch parkte. War er in die Stadt
gekommen, nachdem ich ihn verlassen hatte? War das der Grund für den Anruf
gewesen, den er bekommen hatte? Vielleicht war er von Dolly gewesen...
    Ich wandte mich ihr zu und sah, daß sie
eine Öffnung im Gerüst anstarrte, durch die Licht schimmerte, und daß sie dabei
die Enden ihres Tuches drehte. »Was nun?« fragte ich schließlich. Trotz der
Verkehrsgeräusche aus den Straßen war es hier still, und meine Stimme klang
ungewöhnlich laut.
    Sie wandte mir ihr Gesicht zu. Die
schwarzen Augen leuchteten vor dem blassen Oval. »Kommen Sie, bitte«, sagte sie
und ging auf Zehenspitzen vorwärts, auf die Öffnung zu.
    Ich folgte ihr, die Hand über meiner
Handtasche, in der sich meine Waffe befand. Knox war hier, und er hatte
wahrscheinlich etwas getan, das Dolly erschreckt hatte — vielleicht verletzt.
Ich wäre nicht unbewaffnet dort hineingegangen.
    Die Öffnung im Gerüst führte auf einen
schmalen Gang dicht an der Wand des Theaters. Das Licht, das ich gesehen hatte,
kam von nackten Birnen, die in Abständen angebracht worden waren,
wahrscheinlich als Sicherheitsmaßnahme. Ich folgte Dollys schmalem Rücken,
hielt mich mit einer Hand an der regennassen Mauer fest, damit ich nicht über
zerbrochenes Glas oder andere Abfälle stolperte. Dolly bewegte sich auf die
Stelle zu, wo das Gebäude auf die Market Street hinausging, und schließlich
blieb sie an einer Seitentür stehen, die halb geöffnet war. Sie drehte sich zu
mir um und deutete wortlos auf die Tür.
    Ich fragte mich plötzlich, ob das eine
Falle war — eine Intrige, die Otis Knox geschmiedet hatte, um mir meine
Dreistigkeit heimzuzahlen, und ob er Dolly angeheuert hatte, damit sie ihm
half, seine List durchzuführen. Ich sagte: »Also schön, Dolly, da wären wir
also. Jetzt erzähl mir bitte, was hier vorgeht.«
    »Bitte, Sie müssen mir helfen«,
flüsterte sie verängstigt, und ich erkannte, daß sie kein Spielchen trieb.
Etwas Entsetzliches war Dolly hier in diesem Theater passiert...
    Ich langte in meine Handtasche, um die
kleine Taschenlampe herauszuziehen, die ich immer bei mir trug, und reichte sie
ihr. »Du nimmst die und gehst voraus«, befahl ich. Dann zog ich meine Pistole
und entsicherte sie. Bei diesem Geräusch wirbelte Dolly herum. Ihr Blick fiel
auf die Waffe, und sie erstarrte.
    Natürlich hatte Dolly eine Menge
schlechter Erfahrungen mit Waffen in Vietnam gemacht. Hastig sagte ich: »Ist
schon gut. Die wird uns beschützen.« Dann schob ich sie sanft an, und Dolly
ging durch die Seitentür wie im Schlaf.
    Die Tür führte in die Eingangshalle.
Das wenige Licht hier fiel vom Eingang des Theaters herein. Direkt vor uns, an
der anderen Seite der Halle, lag eine breite Marmortreppe, die wahrscheinlich
zum Balkon hinaufführte; zu meiner Linken sah ich einen leeren
Süßigkeitenstand, Popcorn- und Trinkautomaten. Zu beiden Seiten des Tresens
befanden sich große Pendeltüren, die zum Hauptteil des Theaters führten.
    Dolly war erneut stehen geblieben und
hielt die Taschenlampe so locker, daß sie den Boden beleuchtete. Ein goldenes
Fleur-de-lis-Muster war auf dem abgenutzten blauen Teppich tu erkennen.
Ich ergriff ihre Hand und hielt sie so, daß der Strahl der Taschenlampe

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