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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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du dich so für
Dolly und Duc?« wollte Carolyn wissen.
    »Duc ist ein interessanter Mensch. Wir
haben uns heute schon einmal unterhalten, und ich hätte dieses Gespräch gern
fortgesetzt.«
    »Und Dolly?«
    Ich überlegte kurz, ob ich Carolyn von
Otis Knox erzählen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Sie hatte einen
harten Tag gehabt, und ich wollte sie nicht noch weiter belasten. »Dasselbe.«
    Carolyn sah mich ungläubig an,
bedrängte mich aber nicht weiter. Statt dessen unterhielten wir uns über die
Probleme, die sie hatte, wenn sie ihre Klienten in Tenderloin Hotels wieder
aufsuchte: Drogenhandel und Diebstähle aus den Zimmern; die wiederholten
Polizeirazzien; Überdosen und Messerstechereien in den Gängen; die geheimen
Lager gestohlener Güter und illegaler Waffen.
    Dann kam unser Essen: Es gab Hühnchen,
mit fünf geheimnisvollen Gewürzen zubereitet, Rindfleisch mit etwas, das sich
Lemon Grass nannte, und mit Minze abgeschmeckte Krabben und Schweinefleisch im
Reiskranz. Alles schmeckte wunderbar, und wir aßen heißhungrig, in totalem
Schweigen. Als wir fertig waren, tauchte Lan mit einer weiteren Kanne Tee und
zwei zusätzlichen Tassen aus der Küche auf. Neben ihr ging ein untersetzter
Mann, den sie als ihren Ehemann Chinh vorstellte. Die anderen Gäste waren
inzwischen gegangen, und so setzten sich Lan und Chinh zu uns und entspannten
sich. Lan zog die Schuhe aus und bewegte genüßlich ihre Zehen.
    Anfangs sprachen wir über unwichtige
Dinge: das Wetter, den Schauer am frühen Abend, der jetzt nachgelassen hatte;
über Weihnachten und darüber, wieviel wir noch einkaufen mußten; über den neuen
Baum, der auf so geheimnisvolle Weise in der Halle des Globe Hotels aufgetaucht
war. Schließlich wandte sich die Unterhaltung ernsteren Themen zu: dem Tod des
jungen Dinh, dem schweren Kummer ihres Sohnes Duc.
    »Er scheint sich selbst die Schuld
daran zu geben«, erzählte Lan, »und sein Kummer nimmt zu anstatt ab.«
    »Er ist so ernst«, fügte Chinh hinzu,
»gar nicht wie unsere anderen Kinder.«
    »Er scheint sich große Sorgen um die
traditionellen Werte der vietnamesischen Kultur zu machen«, bemerkte ich.
    »Viel zu sehr«, bestätigte sein Vater.
»Wir respektieren die alten Sitten natürlich. Aber wir leben jetzt in einem
neuen Land, und wir müssen versuchen — «
    Die Tür hinter uns wurde aufgestoßen,
und wir fuhren alle herum. Dolly Vang stand dort, mit aufgerissenem Mund, mit
einer Hand die Enden eines Tuches festhaltend, das sie sich über ihr Haar
gelegt hatte. Ihre Augen wirkten wie schwarze Löcher in ihrem aschfahlen
Gesicht. Sie stand da, scheinbar unfähig zu sprechen, sah nur wild von einem
zum anderen.
    Lan sprang auf und sagte etwas in ihrer
Muttersprache.
    Dolly stand bloß da, hielt das Tuch
umklammert.
    Ich erhob mich und ging zu ihr hinüber.
»Dolly, was ist los?«
    Sie sah mich flehentlich an. Was immer
sie so aufgeregt hatte, schien ihr die Sprache verschlagen zu haben. Sie hatte
scheinbar sowohl ihr Englisch als auch ihr Vietnamesisch vergessen. Schließlich
holte sie keuchend Atem und sagte: »Sie müssen helfen.«
    »Helfen? Wobei? Was ist passiert?«
    »Bitte.« Sie packte meinen Arm oberhalb
vom Ellbogen. Ihre Finger bohrten sich in mein Fleisch.
    Die anderen kamen auf uns zu. Ich hielt
eine Hand hoch. »Laßt mich das machen.«
    Sie sahen erst mich, dann einander an,
Zweifel und Sorge stand deutlich auf ihren Gesichtern.
    Dolly zerrte an meinem Ärmel. »Bitte!«
    »Bleib hier«, wandte ich mich an
Carolyn. »Sorge dafür, daß alle hier bleiben. Ich rufe dich an, sobald ich
weiß, was los ist.«
    Dann zog Dolly mich auch schon aus dem
Restaurant. Ihr Griff war so fest, daß er schmerzte. »Bitte«, sagte sie wieder,
»wir müssen uns beeilen!«
     
     
     

VIERZEHNTES
KAPITEL
     
    Schnellen Schrittes führte mich Dolly
die Straße entlang, wobei sie jetzt meine Hand umklammert hielt. Ihr Englisch
schien sie erneut vergessen zu haben, und wir hasteten schweigend an den Bars
und billigen Hotels vorüber. Ihr Atem ging stoßweise und keuchend, und ihre
kleinen Finger umklammerten meine wie eine kalte Metallfalle. Zweimal drehte
ich mich um, um festzustellen, ob uns jemand aus dem Restaurant folgte, aber
wenn sie das getan hatten, waren sie weit zurückgeblieben.
    Es hatte zu regnen aufgehört.
Zurückgeblieben war ein Nebel, der die scharfen Neonzeichen weicher aussehen
ließ und die Häßlichkeit der Gebäude maskierte, die sie schmückten. Die
Temperatur war

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