Neu-Erscheinung
stellen überhaupt Fragen. Sie interessieren sich für dich, und du kannst dir bis zu einem bestimmten Moment noch nicht mal sicher sein, ob sie es sogar ernst meinen. Bist du gerne hier, wenn ja, warum? Sind deine Haare echt oder gefärbt, ich finde sie auf jeden Fall toll. Das Abschmelzen der Polkappen ist doch schrecklich, oder? Müssen Kinder wirklich ohne Liebe groß werden? Sind wir nicht alle Pisa oder wenigstens ein bisschen Papst? Warum leben wir, und wie lange dauert Glück? Diese Frage habe ich wirklich mal von einem fremden Mann gehört, und ich habe lange darüber nachgedacht. Nicht, dass ich oft über die Fragen von Männern nachdenke, warum auch, die meisten Männer geben sich ja früher oder später gleich selber die Antworten. Aber diese Frage, wie lange Glück dauert, hat mich nachhaltig beschäftigt. Einen Sommer, einen flüchtigen Moment, einen Kuss lang? Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, spürt man schon, wie hoffnungslos das ist. Glück ist nicht messbar, und niemand weiß, wie lange es dauert. Niemand.
Momentan macht keiner der anwesenden Männer Anstalten, mich irgendetwas zu fragen. (Noch nicht mal die Klassiker werden bemüht: Sind Sie auch hier?, Nee, ich bin woanders., Haben Sie Feuer?, Nein, ich habe einen Vulkan., Ach, sind Sie nicht das Model aus der Werbung?, Nö, ich bin die Auftragskillerin aus den
Tagesthemen
.)
Keiner fragt, alle trinken und träumen von alten Zeiten, als eine Schachtel Zigaretten noch etwas war, an dem man sich den ganzen Abend festhalten konnte. Hey, ihr da hinten! Ich könnte jetzt eine Frage gebrauchen, ich wäre auch ganz lieb. Los, fragt mich, ich beiße nicht. Na los, ihr könnt das. Ich bin alleine hier. Ich bin das Beuteschema. Ihr seid die Jäger. Ihr werdet doch sonst immer phantasiebegabter, je später der Herrenabend. Dafür tut ihr alles. Hier nicht. Hier hat keiner Fragen. Die nackte Wahrheit ist um mich herum. Keine falschen Komplimente, keine Lügen, nichts. Keine Brautschauritter. Keine tumben Sexpiraten. Keine Männer mit den kleinen weißen Hautstreifen, wo sonst der Ehering sitzt. Keine Totalfrustrierten, die auch mit einem geschminkten Pudel nach Hause kommen würden, um endlich mal wieder nicht alleine die Nacht verbringen zu müssen. Und auch die ganz tollen Männer sind nicht da, die tatsächlich auf ihre eigene Frau warten und sich beim Treffen noch immer so freuen, als sei es das erste Mal. Das komplette Programm an Männlichkeit im weitesten Sinne ist nicht da.
Ich schaue zur Tür, zur Uhr, zum Fenster. Und dann das Gleiche wieder von vorne. Der Wirt stellt mir ein frisches Bier auf den Tisch und ich ahne, dass er meine Enttäuschung längst registriert hat. Wenn er jetzt sagt, dass das Bier umsonst ist, steht vor mir ein Gnadengetränk.
»Was zu essen?«
Glück gehabt, so schlecht sehe ich also doch nicht aus.
»Nein danke, ich hab schon gegessen.«
»Na gut. Bier geht trotzdem aufs Haus.«
Ich könnte auf der Stelle versinken, tue es aber nicht, weil die Hoffnung auf Sven noch da ist.
Ich weiß genau, wie mein Sven aussieht. Seine Stimme, seine Worte, seine Haltung, sein Witz und sein frecher Unterton machen es leicht, ihn sich vorzustellen. Mein Sven hat sich entgegen allen Gewohnheiten Mühe mit seinem Äußeren gegeben. Vielleicht sind seine Haare perfekt gestrubbelt, so wie es Männer Ende 30 gerne tun, um sich einen Hauch von wilder Jugendlichkeit zu bewahren. Aber wahrscheinlich trägt er die Haare eher ganz kurz. Designerkurz, passend zu einer dicken, schwarzen Hornbrille.
Kurz bevor die Resignation der Hoffnung den letzten Atem nimmt, passiert es. Draußen steigt Sven aus dem Taxi und sucht nach passendem Trinkgeld. Er ist ein wenig nervös, weil er weiß, dass er zu spät ist. Ich habe ihm schon verziehen. Kein Problem, das bisschen Warten, hab mich doch prima unterhalten. Er ist so nervös, dass ihm ein Euro auf den Boden fällt und unter das Taxi rollt. Sven schaut sich schnell um. Er will sicher sein, dass ich ihn dabei beobachte, wie er für den armen Taxifahrer unter den Wagen krabbelt, um dessen Trinkgeld zu retten. Der Taxifahrer will ihm helfen, aber Sven winkt ab. Das ist sein Ding, das zieht er alleine durch. Er geht sprunghaft zu Boden und schnellt blitzschnell wieder nach oben, mit dem Euro in der Hand. Diesmal schaut er nicht zum Fenster. Er weiß, dass ich ihn dabei beobachtet habe. Jetzt streicht er durch sein raspelkurzes Haar und schließt mit einer Hand einen Knopf an seinem schwarzen Sakko,
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