Neu-Erscheinung
ist ein Profi, er weiß genau, was los ist. Das hat nichts mit besonderen Fähigkeiten zu tun. Ich beschließe, ihn kommen zu lassen. Es dauert lange, zu lange, doch dann ist er wieder da, kurz bevor ich wieder in die Tüte greife.
Frag mich!
Was?
Du weißt es
Wird das ein Spiel?
Nein
Dann frag du doch
Ich war zuerst
Das hatten wir doch schon
Na und?
Langsam werde ich unruhig. Interessiert er mich wirklich, oder fange ich an, mich aufzuregen? Ich mag es nicht, wenn andere Menschen die Kontrolle übernehmen. Und jetzt werde ich ihm das mal klarmachen.
Sven?
Ja
Sollen wir uns treffen?
Na super, das hast du ja prima hingekriegt, Hannah von Nazareth. Dem hast du’s aber gezeigt. In blöden Filmen beißen sich die Bridget-Jones-Kopien in die kleinen Fäustchen, ich beiße mir theoretisch in den Hintern. Und schon antwortet Sven.
Hatten wir das nicht schon geklärt?
Nein, das hatten wir nicht
Gut. Aber jetzt
Okay
Wo?
Egal
Wann?
Jetzt
Gut
Ich werde keinen Ort vorschlagen. Auf keinen Fall. Sven offensichtlich auch nicht.
Wo?
Doch!
Sag du!
Frauen zuerst
Auf einmal
Nein, immer
Okay, im Roten Kakadu?
Bin schon da
Und wenn es eine Verarschung ist? Ich werde mich doch jetzt nicht ernsthaft auf den Weg in den Roten Kakadu machen. Ich bin noch nicht mal vernünftig angezogen und überhaupt, ich hab eigentlich echt nichts anzuziehen, gar nichts ...
Ich entdecke etwas Teil 2
Und wieder wurde ich überrascht. Hannah wollte sich mit einem wildfremden Mann treffen. An dieser Stelle wären ein paar psychologische Tipps zum Blind Dating nicht schlecht gewesen, aber ich konnte ja blöderweise mit niemandem darüber sprechen – außer mit Günter Masuch, theoretisch, doch der schickte nur euphorische Mails. Wie diese:
Mensch Litten, tolle Idee mit diesem Internet-Dating. Haben schon eine Anzeige von einer Singleplattform, halbseitig, überregional. Lassen Sie es krachen, weiter so!
Oder diese:
Litten, gibt ordentlich Arger. Vor allem die Katholiken. Die Tochter Gottes sucht einen Mann, finden die gar nicht lustig, weiter so. Any promotion is good promotion
Und diese:
Paul, großartig. Die Frauen lieben die Messias. Leite bei Gelegenheit mal die besten Lesermails weiter. Gibt reichlich. Hälfte super, andere Hälfte nicht, weiter so, es läuft.
Masuchs Begeisterung ließ mich seltsamerweise völlig kalt. Für gewöhnlich gab es im Leben eines Lokalredakteurs nichts Schöneres als positives Feedback vom Herausgeber. Mein Fall lag anders. Ich wollte mit meiner Geschichte etwas anderes erreichen. Mir war nur nicht klar, was. Angefangen hatte ich, um endlich mal was Neues zu schreiben. Etwas, das über das alljährliche Brüten der Schwäne am großen Teich hinausging, das traditionell nur von mir geschrieben wurde. Etwas das größer war als die immer gleichen Ratssitzungsprotokolle, die ich längst schrieb, ohne an den Sitzungen teilzunehmen, geistig jedenfalls, körperlich musste ich da schon noch hin. Ich wollte mehr sein als der Mann, der für die schwarz-weiße Verpackung eines Fisches von Makrelen-Dieter verantwortlich war. Und ich wollte die Anerkennung einsammeln, die mir so selten zuteil wurde. Richtige Anerkennung, nicht aus Routine, sondern aus voller Überzeugung.
DIE MESSIAS Folge 5
Der Rote Kakadu ist mäßig gefüllt. Die Unentschlossenheit der Einrichtung ärgert mich zum ersten Mal kein bisschen. Nicht die völlig deplatzierte Neonreklame eines amerikanischen Diners, die in keiner Weise mit der mahagonibraunen Tresengarnitur aus Bitterfeld harmoniert, und auch nicht der ausgestopfte Kakadu mit der roten Banane im Schnabel, nach dessen Existenzberechtigung hier schon lange keiner mehr fragt. Ich bin viel zu aufgeregt, um mich mit Geschmacksfragen zu beschäftigen. Seit einer Woche bin ich regelmäßig in dieser Kneipe. Ich trinke selten, langweile mich oft, bin aber bis auf eine einzige Ausnahme nie gelangweilter gewesen als zu Hause. Und das eine Mal wurde Deutschland fast Weltmeister. Da interessierte sich niemand für die Tochter Gottes, selbst wenn er gewusst hätte, dass sie in der Stadt ist. Damals gab es nur einen Gott, und der hieß Klinsmann.
Ich taxiere die anderen Männer im Lokal und frage mich, ob Sven schon unter ihnen ist. Eigentlich kein schweres Unterfangen, denn Männer mit eindeutigen Absichten sind anders als Männer ohne eindeutige Absichten. Die Absicht, sich zu betrinken, mal ausgenommen. Sie reden anders, sitzen anders, und sie stellen andere Fragen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher