Neu-Erscheinung
das auf Taille geschnitten ist, weil er es sich leisten kann. Ein Sportler halt. Dann geht er auf das Lokal zu. Nicht zu schnell, aber entschlossen. Sven! Mein Sven! Diesmal habe ich den Jackpot geknackt. Mein Jackpot kann unter Taxis krabbeln und sein Sakko mit einer Hand schließen. Himmel, ich habe Männer schon für weitaus weniger bewundert.
Sven kommt ins Lokal. Er schaut sich suchend um. Nun tu doch nicht so, du hast mich doch längst entdeckt. Aber gut, wenn du magst. Ich gönne dir deinen kleinen Auftritt. Er geht zum Wirt, tuschelt etwas in sein Ohr. Sven macht seine Sache gut, das Kribbeln steigt. Er ist ein Meister der Dramaturgie. Der Wirt nickt in meine Richtung. Ich drehe mich schnell weg. Hitze steigt in mir auf. Los, komm, sprich mich von hinten an. Jetzt, Sven, jetzt! Sprich mich an, stell mir eine Frage, egal welche. Frag mich!
»Hallo?«
Diese Stimme. Ich schmelze. Er tippt mir höflich von hinten auf die Schulter. Die erste Berührung. Ein Genuss, den ich mit einer dezenten Gänsehaut kommentiere. Siehst du das, Sven? Siehst du, was du mit mir machst? Nein? Mist, warum habe ich ausgerechnet heute lange Ärmel?
Ich drehe mich, aber nicht zu schnell. Jetzt keinen Fehler machen. Er erwartet das perfekte Spiel, und es ist sein Spiel, ich darf es nicht zerstören.
»Lonely-Heart.de?«
Wo ist all die Spucke in meinem Mund hin. Ich bin völlig ausgetrocknet. Sven, warum hast du so braune Augen. Und warum hast du so einen schönen Mund. Damit du mich besser sehen kannst, damit du mich besser fressen kannst. Ich glaube, ich werde wahnsinnig, und vergesse dabei völlig, zu antworten. Was ist denn bloß mit mir. Sven bleibt locker, er fragt mich nochmal. Oh, du bist so gut, so unverschämt gut.
»Chat?«
»Ja.«
Endlich kann ich antworten. Sehr trocken, von Spucke noch immer keine Spur. Aber man kann mich hören und mit ein bisschen Mühe sogar verstehen.
»Gut.«
»Ja.«
Los, mach weiter, du bist so ... so –
»Entschuldigung, aber ...«
Was, was, was?
»Ich ähm ...«
Mein Magen verengt sich wie ein Gefrierbeutel an einer Vakuumpumpe.
» ... es tut mir leid, aber ich soll dir sagen, dass Sven nicht kann. Er musste zu einem Einsatz.«
Mein Schrei ist laut, so laut, dass sich der Wirt ernsthaft Sorgen macht, um mich, sein Lokal und den Weltfrieden. Ich stehe auf und gehe in die Nacht. Enttäuscht, einmal mehr.
Draußen wartet noch immer der Taxifahrer mit dem 1 -Euro-Trinkgeld und versucht, die krächzende Stimme aus der Zentrale zu verstehen. Einen Moment lang überlege ich, zu ihm zu gehen. Aber dafür bin ich nicht verzweifelt genug. Stattdessen drehe ich mich um und gehe nochmal in das Lokal.
Ich stemme meine Arme in die Hüften und brülle so laut ich kann.
»Wenn einer von euch Niggelköppen eine Frage hat, dann stellt sie Sven, der hat einen Einsatz!«
Jetzt nervt mich dieser bescheuerte Kakadu so sehr, dass ich beschließe, den Laden nie wieder zu betreten, und das Gleiche gilt auch für die Stadt. Ich werde noch in dieser Nacht abhauen, egal wohin, nur weit weg. Von Sven, dem Kakadu und dem kompletten Rest.
Und dann öffnet sich der Himmel, und es beginnt zu regnen. Eimerweise. Es ist kalt, und ich bin in Sekunden pitschnass. Jetzt kann man meine Gänsehaut durch die langen Ärmel sehen.
Zu spät.
Ich und die Sache wird!
Meine Geschichte lief. Beruflich und privat. Masuchs Mails waren mehrheitlich positiv und die Aufreger so dogmatisch und erzkatholisch, dass man sie kaum mehr ernst nehmen konnte. Die Messias hatte innerhalb kürzester Zeit eine ungewöhnlich große Fangemeinde bekommen, und ich genoss es, das Herz der Leser und vor allem Leserinnen punktgenau zu treffen.
Was mich aber noch viel mehr freute, war die Tatsache, dass sich Bettina zunehmend für meine Geschichte interessierte. Normalerweise studierte sie immer zuerst den Lokalteil, streng sortiert nach Wichtigem und belanglosem Quatsch. Also Bürgermeisterwahl, Kreiskirchenvorstandstreffen und Gründung des 1 . Kneippvereins Muenden e.V. Aber seit der Geschichte über Sven begann sie sich intensiver mit der Messias zu beschäftigen
.
»Was liest du denn da Überregionales?«
Ich beugte mich extra nicht vor, um keinerlei übertriebenes Interesse zu signalisieren.
»Nichts.«
»Diese
Messias
?«
»Ja.«
»Dachte, du findest die doof?«
»Find ich auch.«
»Und warum liest du’s dann?«
»Weil sie ... weil sie ... sie ist eben unterhaltsam.«
»Oookahay.«
Unterhaltsam als Schulnote war in Bettinas
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