Neu-Erscheinung
ureigenem Bewertungskosmos nichts, was sich im oberen Bereich bewegte, aber so, wie sie es soeben formuliert hatte, war es fast schon ein Gütesiegel. Sie musste unterhaltsam sagen, weil klasse, super, wahnsinnig oder ähnlich emotional durchtränkte Lobesattribute in ihrem Wortschatz nur dann auftauchten, wenn sie sich auf Taten, Leistungen und Erfolge bezogen, die sie selber zu verantworten hatte. Egal, ich wusste, was sie mit unterhaltsam meinte.
»Kann einem schon fast leidtun.«
»Wieso?«, fragte ich scheinheilig.
»Na ja ... hat schon ziemlich viel Pech, und irgendwie hat man das Gefühl, das alles zu kennen.«
»Du hast doch kein Pech, Bettina.«
»So meine ich das nicht ... sie ist mir vertraut ... ich meine, die Geschichte, nein, ach, ich weiß auch nicht.«
Ich hatte sie. Sie hatte es begriffen, ohne es begriffen zu haben. Mit anderen Worten, ich war geschickt genug, die Geschichte der Messias so zu bauen, dass sie eine hohe Empathie erzeugte, ohne zu deutliche Hinweise auf mich und meine Motivation zu hinterlassen.
»Ich versteh dich nicht, Bettina. Das ist doch nur eine Fortsetzungsgeschichte.«
»Ja schon, aber nicht blöd geschrieben. Diese Bella Gabor, die erzeugt so eine Atmosphäre der ... Vertrautheit. Verstehst du, was ich meine?«
Ja, ich verstand, und was ich noch viel mehr verstand, war die Tatsache, dass wir uns schon seit mehreren Minuten wieder einmal richtig unterhielten. Und dass sie mich lobte und mir eine Anerkennung zukommen ließ, wie ich sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Auch wenn diese Anerkennung den Umweg über eine fiktive Frau mit dem seltsamen Künstlernamen Bella Gabor genommen hatte – sie war bei mir angekommen.
Und schon wieder war ich ein Stück weiter auf meinem Weg der Erkenntnis. Ich schrieb diese Geschichte nicht nur über Bettina, sondern für sie und mich. Nach xy gemeinsamen Jahren in einer überschaubaren Beziehung in einer überschaubaren Stadt war mir offenbar ganz aus Versehen etwas zu der Frage eingefallen, warum wir leben und wie lange Glück dauert. Glück dauert nicht, Glück ist einfach da.
»Paul? Bist du noch da?«
»Ja klar, wieso?«
»Du guckst, als hättest du gerade ein Ei gelegt.«
Die Erkenntnis hatte mich zu einem dämlichen Grinsen gezwungen, das ich abrupt beendete. Sieger sehen schließlich nicht dämlich aus.
»Musste gerade an Ansgar denken.«
»Während ich dir was erzähle?«
»Nein, ich hab natürlich ... –«
»Da erzähl ich dir was, und du denkst an Ansgar?«
»Ich hab nicht an Ansgar gedacht.«
»Hast du doch gerade noch gesagt.«
»Ich hab gesagt, ich musste an Ansgar denken.«
»Sag mal, Paul, hältst du mich für blöd?«
»Nein, das habe ich doch gar nicht gesagt.«
»Aber anscheinend gedacht. Du denkst an Ansgar, oder nein, du musst an ihn denken, wenn ich mit dir spreche, richtig?«
»Bettina?«
Wir unterhielten uns lange, doch an diesem Punkt der Unterhaltung hätte ich ein Schweigen definitiv bevorzugt.
»Paul Elmar!«
Jetzt wurde sie richtig sauer. Ein guter General hätte seinen Truppen sofort den Rückzug befohlen. Ich hatte keine Truppen, geschweige denn eine Rückzugsmöglichkeit.
»Es hat überhaupt keinen Sinn, mit dir zu reden.«
»Bettina, lass uns doch jetzt nicht schon wieder ...«
Zu spät, das florierende Gespräch war zu Ende. Bettina widmete sich wieder ausschließlich sich selber und anschließend ihrer Lektüre. Meine Frau war fehlerfrei. Aus ihrer Sicht. Und ich wusste, dass sie keinerlei Gedanken daran verschwendete, in der vorangegangenen Situation irgendetwas falsch gemacht zu haben. Sollte sie, ich wollte nicht nachgeben. Und das war für meine Verhältnisse schon ein beachtlicher Triumph. Ich schwieg wie sie und tat so, als wäre mir unser kleiner Disput völlig gleichgültig. Den winzigen Na-wann-kommt-er-denn-angekrochen-Blick ignorierte ich wie selbstverständlich.
Ich wusste jetzt, was zu tun war. Diesen Ort der Vertrautheit in meiner Geschichte musste ich nutzen, zu meinen Gunsten und vielleicht auch zu ihren. Bettina würde stolz auf mich sein, früher oder später. Und sie würde auch begreifen, dass in einer Beziehung beide Fehler machen und nicht nur einer.
Die Schritte zur Anerkennung mussten nun sorgfältig geplant werden, damit es nicht zu einer verhängnisvollen Überdosis kam. Garantierte Anerkennung, in XXXL -Größe, ist so gefährlich wie ein Tapeziertisch voll Panna Cotta. Ein paar Löffelchen sind okay, aber wer alles auf einmal in sich stopft,
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