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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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ausgedrückt. Ausgerechnet Lesnik, der Frauenversteher, der Schwiegermutterflüsterer. Der Mann, der bei seiner Wiedergeburt garantiert ein Pudel wird, nicht doof, aber getrimmt bis zum Geht-nicht-mehr. Der Mann, dessen herausragendes Merkmal ein gurkenähnliches Spitzkinn war, hinter dem sich sogar Michael Schumacher verstecken konnte. Der Mann, der in der Sonntagsandacht den Klingelbeutel mit einer unfassbar bedeutungsschwangeren Attitüde hielt, als gelte es, die gestohlenen Gesetzestafeln von Moses zurückzubringen. Der Mann, der noch nie in einem Fußballstadion war. Dieser Thomas Lesnik!
    Ich wusste genau, wie Bettina sich fühlte. Ich schlage mich nie, aber bei einem wie Lesnik wäre ich bereit, eine Ausnahme zu machen, aus reiner Lust. Bettina schlief neben einem Bollwerk aus Verständnis und Mitgefühl. Echtem Mitgefühl. Sie wusste es nur nicht. Leider.
    Als ich vor vier Jahren fest mit einer Korrespondentenstelle in Berlin gerechnet hatte, war mir Ähnliches passiert. Zwei Wochen vor der endgültigen Zusage, die ich idiotischerweise mit einigen Kollegen und Saufbolden der Extraklasse schon vorher gefeiert hatte, erhielt ich die Absage. Bettina sagte kein Wort. Keine Häme, kein Trost, nichts. Nur, dass sie froh war, ihre Stelle noch nicht gekündigt zu haben. Am Tag nach der Absage war es Bettina, die einen Kostenvoranschlag für den Ausbau unseres Dachbodens einholte. Ich hatte meine Chance gehabt. Wir brauchten keinen Dachboden. Wir hatten zwar beide einen ausgeprägten Kinderwunsch, aber irgendwie hatte die Abteilung für Nachkommensplanung und Eisprünge davon nichts mitbekommen. Rein biologisch konnten wir Eltern werden. Wurden es aber nicht. Nach aufgeregten Anfangsjahren und allerlei medizinischen Konsultationen und Experimenten wich der Wunsch nach Kindern wie die Hoffnung auf einen Sechser im Lotto. Man spielt zwar noch mit, rechnet aber nicht mehr ernsthaft mit dem Hauptgewinn.
    Ich brauchte ein paar Tage Denkpause, um meine Wunde zu lecken und auch um ein offizielles Statement vorzubereiten. Nach außen hin wollte ich nun doch lieber in Muenden bleiben, wegen der Luft und so und auch wegen der billigen Baulandpreise und der vielen Parkplätze, der wenigen Staus, der freundlichen Politessen und der geringen Auswahl an Kinos und Konzerten, die einem kulturinteressierten Menschen sehr viele Ausgaben erspart. Berlin und ein Westfale, das passt einfach nicht. Das ist wie Fußball mit Tischtennisbällen spielen – es geht, sieht aber dämlich aus. Meine Güte, ich hatte mir eine unglaubliche Mühe gegeben zu lügen. Ohne Erfolg, geglaubt hat mir das alles natürlich niemand. Am allerwenigsten ich. Es hat aber auch niemand jemals mit mir wieder darüber gesprochen. Der Zusagenabend hatte mich über 620  Euro an Getränken gekostet und eine winzige Ecke am Schneidezahn, die sich nach einem zu schnellen Heben des Glases von mir verabschiedete. Bettina hatte wenigstens noch vollständige Schneidezähne. Damit konnte ich sie natürlich nicht trösten, ich habe es aber auch gar nicht erst versucht.
    Ich weiß, wie solche Schmähungen schmecken. Zwar denke ich nicht ständig an meine Fastzusage in Berlin, aber manchmal schon. Zum Beispiel immer wenn es mir mies geht, wenn der BVB verliert oder eine CD viel schlechter ist als von allen gepriesen, wenn mein Festplattenrekorder eine Aufnahme vergessen hat, oder ich, wenn mein Hausarzt einen irritierenden Wert in meinem Blut gefunden hat, der sich erst Tage später als völlig normal erweist, wenn auf meinem Konto eine rote Zahl erscheint, wo gestern noch eine schwarze war – in solchen Momenten juckt die Narbe der Erinnerung. In dieser Nacht juckte sie nicht. Wegen Bettina.
    Dass ich mit meiner
Messias
meiner Frau eine kleine Identifikationsinsel verschafft hatte, machte mich glücklich. Erst dauerte es ein wenig, bis ich mir voll und ganz über diese Tatsache im Klaren war, aber mit jeder flatternden Bewegung ihres Gaumens und Zäpfchens wurde die Ahnung zur Gewissheit. Bettina war stolz auf mich. Wenigstens ein bisschen. Nicht direkt – also, um genau zu sein, war sie stolz auf Bella Gabor. Und was heißt stolz, sie hatte Bellas Romanheldin Respekt gezollt. Immerhin. Nur, man kann es drehen und wenden, wie man will. Mit alldem meinte sie mich. Den Mann, der in diesem zarten Moment mit einem warmen Lächeln seine noch immer wunderschöne Frau im Schlaf beobachtete.
    Möglich, dass ich in den letzten Jahren nicht mehr der Mann gewesen war, zu dem man

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