Neu-Erscheinung
stieg schneller als die Zahl der Abo-Kündigungen, und alles war gut. Was nicht hieß, dass es nicht noch besser laufen könnte, wie Masuch, Günter, mir großspurig versicherte. Und das Beste, das wollte er mir heute Abend noch erzählen.
Ich war gespannt. Bettina war sauer. Auch bei uns teilte sich alles, und wenn es sich nur um zwei völlig verschiedene Emotionslager handelte.
»Ich bin in der Küche«, flötete ich, ganz leicht, wirklich nur ganz leicht angesäuselt.
Keine Antwort.
»Hast du Hunger?«
Keine Antwort.
»Ich mach uns was.«
Keine Antwort.
»Scheiße!«
Das war eine Antwort. Bettina stand vor mir, und alles an ihr war fassungslos. Alles, nicht nur ihre hübsch moderne Gleitsichtbrille.
»Scheiße.«
»Du, tut mir leid, dass ich nicht zurückgeru ... –«
»Ach!« Bettina wischte den Versuch einer Entschuldigung zur Seite und setzte sich. Mit zielsicherem Griff zog sie das dritte Hefeweizen zu sich und trank eine gute Hälfe davon ohne abzusetzen aus. Was nicht weiter verwunderlich war, aber sie trank aus der Flasche, und das tat sie nie. Nie! Noch bevor ich mich wundern konnte, war auch die zweite Hälfte in ihr verschwunden.
»Scheiße.«
»Was ist passiert?«
»Lesnik.«
»Oh.«
»Jo!«
Ich stellte mich hinter Bettina und begann, ihren Nacken zu massieren, als wäre es möglich, alles, was belastet, mit ein paar schnellen, festen Strichen über die Haut wegzuwalken. Für einen kurzen Moment schien sie es zu genießen, doch mit einem Mal spürte ich unter meinen sensiblen Fingern das schnelle Heranwachsen einer ausgeprägten Körperspannung. Ganz langsam zog ich die Finger zurück, wie von einem Benzinkanister, der kurz vor dem Kontakt mit einer achtlos weggeworfenen Zigarette steht.
»Dieses Arschloch, dieses karrieregeile Arschloch ... ich hab rund um die Uhr gearbeitet, ich hab mehr Weiterbildungen als alle anderen, und ich bin auch qualifizierter als alle anderen, aber weißt du, was mein Problem ist?«
»Lesnik!«
»Nein, der auch. Mein Problem ist, ich bin eine Frau. Ja, so einfach ist das. So einfach macht man sich das. Hier geht es nicht um Qualifikation, es geht um Macht, Paul!«
»Klar.«
»Macht. Macht und Machterhaltung. Und da stört eine Frau ja nur, denn wenn die mal was macht, ist Schluss mit Macht!«
Wie man’s macht, macht man’s verkehrt, schoss es mir durch den Kopf, aber das traute ich mich nicht zu sagen. So, wie ich mich einiges nicht traute.
Bettina griff zu einem weiteren Hefeweizen. Es gab keinen Zweifel, dass sie sich an diesem Abend von einer bewussten Wahrnehmung der Welt verabschieden wollte. Wie im Vorbeiflug schnappte sie sich die zerfledderte Ausgabe der Zeitung und warf sie mir vor die Füße.
»Diese Dingsda ... diese ... Messias ... so bescheuert die Geschichte ja ist, recht hat sie! Und zwar hundertprozentig! Tausendprozentig!«
»Ich weiß nicht, kann man das so kategorisch sagen, ist doch nur Unterhaltung!«
»Das ist mehr. Das ist die Wahrheit.«
»Ach Bettina, jetzt mal ehrlich, eine simpel gestrickte Unterhaltungsfigur kann doch nicht... –« Zu mehr kam ich nicht.
»Du hast keine Ahnung, Paul, keine Ahnung, ich will mit dir auch nicht diskutieren, ich sag nur, diese Messias hat die Wahrheit formuliert. Scheißegal, wo. Ob in einem blöden Unterhaltungsroman oder einem theologischen Manifest. Die Emanzipation hat so lange nicht ihr Ziel erreicht, bis auch die Kirche begriffen hat, dass man uns Frauen nicht ständig verarschen kann.«
»Okay, das kann man so sehen«, fügte ich hinzu, ein wenig stolz, deutlich an Selbstachtung gewachsen, einigermaßen bewegt und signifikant im Plus der täglichen Anerkennungsration, nur leider zum Schweigen verdammt. Verdammt!
So hätte der Abend enden können. In einem Rausch der Bestätigung meines Schaffens. Eines hatte ich jedoch vergessen.
»Äh ... Bettina, wir sind übrigens zum Essen eingeladen ... bei ... Ansgar und Carola.«
»Scheiße.«
Ich
Tage wie der vergangene hinterlassen mehr als nur Spuren. Mich lassen sie nicht einschlafen. Bettina schlief tiefer als sonst. Und wesentlich lauter. Ihr sonores Alt-Schnarchen, in den Pausen leicht ins Sopranige holpernd, hatte etwas Beruhigendes und einen klar erkennbaren Ursprung, der in mehr als drei Hefeweizen lag. Dass sie bei der Besetzung der Referatsleiterstelle übergangen wurde, hatte sie sehr verletzt. Bei Männern nennt man das einen Tritt in die Fresse, ich denke, bei Frauen ist es nicht anders. Es wird nur anders
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