Neu-Erscheinung
ausgesehen hatte. Der Spiegel hätte wissen müssen, dass sie belogen werden wollte. Sein Fehler. Bettina verpasste ihm eine Ladung Nachtcreme, die zur sofortigen Erblindung der Spiegelfläche führte.
Diese Einladung hatte meiner Frau den Rest gegeben, und ich hätte eher einen halbverhungerten Löwen davon überzeugen können, mal ausnahmsweise nicht das kleine Gnu zu fressen, als ihr zu erklären, dass sie netterweise die Rolle der Bella Gabor bei Barbara Freitag spielen soll. Es gibt Dinge, die brauchen den richtigen Moment. Bei Bettina sind solche Momente eher selten, und wenn, dann nutze ich sie für angenehmere Dinge.
Carola hatte ein Tablett mit Drinks in der Hand und natürlich keine Vorstellung davon, wie wir uns fühlten. Normalerweise hatten wir schon jede Menge Spaß mit den beiden, und wenn wir Ansgar und Carola zu unseren engsten Freunden zählen, dann nicht aus reiner Folklore oder kollegenhafter Nettigkeit. Aber an diesem Abend war der Begriff Spaß und der bloße Gedanke daran sehr weit weg von allem Vorstellbaren.
»Toll, dass ihr da seid. Kinder, ich hab euch so viel zu erzählen, so viel, aber jetzt trinkt erst mal.«
Artig führten Bettina und ich den knallroten Drink zum Mund. Er schmeckte bitter, leicht nach Mandel und noch leichter nach Holunder. Ganz stark aber nach Wodka und Soda.
»Und?«, fragte Carola.
»Lecker«, log Bettina.
»Interessant«, ergänzte ich.
»Meine neueste Kreation, ich nenne sie Menopause!«
Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, die knallrote Alkoholsuppe in meinem Mund zu behalten, es gelang mir nur mit maximaler Überwindung und der Erinnerung an eine Erziehung zur Höflichkeit. Ich habe das erste Jahrzehnt meines irdischen Daseins mit dem freundlichen Abnicken sämtlicher Speisen und Getränke zugebracht. Während meine Mutter dadurch zu der irrigen Annahme kam, dass ihr geliebter Junge alles mag. Von bitterem Rosenkohl bis zu gebratener Leber. So kann man sich irren.
Carolas Humor war ein spezieller. Meist mühelos unter allen Geschmacksgrenzen, selten weiblich, dafür von einer brachialen Herzlichkeit durchwebt, die ihresgleichen nur auf Kegelausflügen und Klassentreffen findet. Vermutlich war der Grund dafür im Gynäkologischen zu suchen oder wenigstens auf dem Weg dorthin.
»Carola, kannst du die beiden schon mal an den Tisch bitten, ich komme gleich!«, brüllte Ansgar aus seinem Küchenexil.
»Leere Versprechung«, säuselte Carola.
Bettina und ich lachten, um Carola eine Freude zu machen. Was sie aber nur noch in dem Wunsch bestärkte, ihre nicht vorhandenen Entertainerqualitäten an uns auszuprobieren.
»Um ehrlich zu sein, in letzter Zeit hat Ansgar mehr Verkehr mit seiner Pfeffermühle als mit mir, dabei wäre ich garantiert schärfer.«
Bettina und ich waren sprachlos.
»Seit er das Kochen für sich entdeckt hat, sind bei uns nur noch die Herdplatten heiß, wenn ihr versteht, was ich meine?!«
»Tatarataaaaaaaaa ...«
Ansgar schleppte ein Tablett mit opulenter Ladung an den Tisch. Irgendwas Essbares von einem dieser unzähligen Jungköche, die im Fernsehen so lange kochen, bis zu Hause keiner mehr Lust hat, mehr als auch nur eine Dose Fertigfutter aufzumachen. Jedenfalls bis zu dem Moment, an dem man merkt, dass das bloße Zuschauen bei einer Kochsendung nicht satt macht.
»Als Vorspeise für meine lieben Freunde: gebratene Ricottaküchlein mit kleinem Tomatensalat und Bruschette mit Auberginen und Minze, voilà!«
Voilà?! Schade, wenn man in solchen Momenten kein Italienisch kann, dachte ich arrogant. Mein Handy dachte sich gar nichts, als es sachlich klingelte.
»Paul Elmar, bitte mach das Ding aus.«
»Ich habe Bereitschaft!«
»Bist du auch Arzt?« Carola lachte, und ich schüttelte nur den Kopf.
Es war nur eine SMS , aber mit der Sprengkraft eines Norovirus, und sie verdarb mir vollständig den Appetit.
BARBARA FREITAG KEIN PROBLEM – DOUBLE GEFUNDEN – SUPERSACHE – WIR ZIEHEN DAS DURCH – MELDE MICH – GÜNTER – SCHÖNEN ABEND !
»Was passiert, Paul?«, wollte Bettina wissen.
»Nee, Werbung«, log ich tapfer.
»Na, dann greift mal zu!«, forderte Ansgar uns auf.
Während mein Magen auf das Volumen einer Rosine schrumpfte, packten sich alle anderen die Teller voll.
»Was is’, Paul, greif zu, du isst doch sonst immer für zwei«, petzte Ansgar ungefragt.
Bettina nahm die Vorlage dankbar an.
»So, ich dachte, bei der Arbeit immer nur Äpfelchen? Schatz?«
Bettina nutzte nicht selten die Gelegenheit,
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