Neu-Erscheinung
gekauft. Und ich saß nun davor. Nicht vor dem Schrank, vor dem Haus. Der Motor meines Wagens lief noch. Ich stellte ihn ab, um mich der Situation zu stellen, die mich erwartete. Ich wollte weder ausrasten noch Fragen stellen. Ausrasten kann ich nur, wenn meine CDs beschädigt werden oder als unerlaubte Dauerleihgabe in den Besitz von Freunden wandern. Dies ist die letzte Chance für Bernd, Ludger, Peter und Malte, mir meine CDs von Belle and Sebastian, New Order, Ane Brun, Whiskeytown, Kettcar, Tomte und Smashing Pumpkins zurückzubringen, die ihr nur mal eben brennen wolltet! Ich habe alles aufgeschrieben, Freunde. Es lebe die Spießigkeit.
Genaugenommen wollte ich nur, dass alles ein böser Traum war, so wie die Aktion mit meiner Axt. Thomas Lesnik sollte einfach nicht mit Bettina im Spiegel des Salon Janus aufgetaucht sein, und die Schmerzen, die dieses Bild in mir hervorgerufen hatte, sollten sich als lächerliche Phantomschmerzen erweisen.
Ich wollte das alles nicht, weil es mich in einen Zustand der Verwirrung und Enttäuschung versetzte, den ich kaum ertragen konnte. Stattdessen sollte alles genau da weitergehen, wo es am Morgen so herrlich aufgehört hatte. Das wünschte ich mir. Und ist das zu viel verlangt?
Bettina war noch nicht zu Hause, deshalb nutzte ich die Gelegenheit, eine neue Folge meiner
Messias
anzufangen. Ich schrieb wie im Rausch ...
DIE MESSIAS Folge 11
Der rostbraune Vorkriegsrollstuhl ächzt und quietscht über den Flur des Krankenhauses. Resis Kopf fällt auf ihre Brust, ihre Hände verstecke ich notdürftig unter einem weißen Laken, um die Einstichstelle der von mir entfernten Infusion besser verstecken zu können. Der weiße Arztkittel, den ich nebst Stethoskop und Namensschild einem meiner Opfer abgenommen habe, um mich besser zu tarnen, spannt besonders im Hüftbereich. Ich trage ihn offen, was mir nur unwesentlich Erleichterung verschafft. Mediziner müssen wirklich viel arbeiten, um so verflucht dünn zu sein.
Resi lässt sich von mir durch unzählige Flure rollen, bis wir endlich einen Aufzug erreichen, dessen Existenz nur den wenigsten Menschen im Krankenhaus bekannt ist. Weit und breit ist niemand zu sehen, der dumme Fragen stellt oder noch dümmere Anstalten macht, uns zu schnappen. Irgendwo da hinten muss die Pathologie sein, dort kennt man keine Eile und Massenaufläufe von Pflegepersonal und Besuchermassen, die nach Vasen für überteuerte Schnittblumen suchen, der schlimmste Druck ist weg.
Der Form halber befreie ich Resi mit meinem weißen Ärzteärmel von einem unschönen Sabbern, das als Folge der ungewöhnlichen Kopfhaltung und ihrer starken Sedierung einen sehr unattraktiven Eindruck hinterlässt. Resi bekommt von alldem nichts mit, und so wie ich die Dosierung des Diazepams einschätze, soll sich daran in den nächsten Stunden auch nichts ändern. Ein Aufwachen würde einem Wunder gleichkommen.
Während wir auf den Aufzug warten, frage ich mich, ob das alles hier wirklich richtig ist. Und ich frage mich, ob sich mein persönliches Glücksbarometer nach oben orientiert. Die Rahmenbedingungen verschieben sich, keine Frage, aber besser fühle ich mich dadurch noch lange nicht. Ich bezahle einen Preis ohne entsprechenden Gegenwert. Ich gebe meine Unsterblichkeit und meine Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, auf. Aber wofür? Um vor einem Klinik-Fahrstuhl zu warten mit einer jungen Frau, die durch mich eine Erweckung erfahren hat, die man ihr dann aber auch konsequenterweise sofort pharmazeutisch weginjizieren musste? Ist es das wert? Ist es das, wonach ich so lange suche? Eindeutig: Nein!
Ich suche nach Liebe, nach Anerkennung, nach einem Leben voller Menschlichkeit. Ich sehne mich nach den großen Geheimnissen, die ich für mich je nach Bedarf auch ganz alleine lösen will. Ich will den Geschmack der Lügen kennenlernen. Wer das nicht versteht, ist noch nie belogen worden. Ich will mich ärgern über die Alltäglichkeit des Seins. Alberne Pläne machen, nur um sie so schnell wie möglich zu verwerfen. Und am allermeisten will ich einen Mann, der jedes Pfund an mir mit einer Leidenschaft liebt, deren schönstes Adjektiv noch nicht erfunden wurde. Ich will eine Prinzessin sein. Von mir aus ohne Schloss, aber anbetungswürdig. Und ich sehe mich als Mutter, ich will ein Kind, nicht nur weil ich genug Erfahrung im Umgang mit schwierigen Menschen habe, sondern weil ich davon überzeugt bin, die beste Mutter aller Zeiten zu werden. Von alldem fühle ich mich in diesem
Weitere Kostenlose Bücher