Neu-Erscheinung
Othello
Irgendwann kommt der Tag im Leben eines Mannes, eines jeden Mannes, dann ist Schluss mit Geduld und Verständnis. Schluss mit Toleranz und dem Verzicht auf Macht trotz Stärke. Und jetzt war er da. Der Tag.
Bettina hatte Glück, denn ich war vor ihr zu Hause, so konnte ich mich zunächst an ein paar unschuldigen Dingen auslassen. Ihren Dingen!
Zuerst mussten die japanischen Ziersträucher auf der Fensterbank Richtung Süden dran glauben. Die kleinen, verknöcherten Ästchen leisteten reichlich Gegenwehr, aber wenn Paul Elmar Litten unter Strom ist, haben auch 100 Jahre alte japanische Zierästchen keine Chance. Zwei, drei beherzte Schnitte mit der Nagelschere, die zufälligerweise noch auf dem Küchentisch lag, und aus war es mit der teuren Pflanzenpracht. Eifersuchtsattacken mit einer Nagelschere haben auf der nach oben offenen Leidenschaftsskala eine nicht messbare Größe. Sie sind bestenfalls im Atombereich, ich aber wollte die Atombombe der Leidenschaft. Die maximale Zerstörung.
Während mein Puls raste und die Erregung sich virengleich über den ganzen Körper verteilte, fiel mein Blick nach oben. Das Schlafzimmer, das Allerheiligste. Nicht das Bett, das hatte ich ausgesucht. Ich dachte vielmehr an den begehbaren Kleiderschrank. Ihre Idee, ihre Erfindung, ihr ganzer Stolz.
Fieberhaft suchte ich im Keller nach einem passenden Werkzeug, noch immer mit der Nagelschere in der Hand, die ich dann aber in hohem Bogen über die verstaubten Regale warf. Denn da stand sie, Othellos Komplizin. Eine Axt. Ich lächelte den stählernen Keil an, dessen Ansatz von Flugrost mich nicht im mindestens störte. Meine Hände umklammerten den 1 , 10 m langen Eschenholzschaft. Nach Jahren des Nichtstuns hatte meine Axt ihre Berufung gefunden. Wir gingen nach oben. Meine Axt und ich. Mit festem Schritt in Richtung Schlafzimmer. Zu ihm. Dem verhassten begehbaren Schrank. Niemand hätte es gewagt, sich mir in den Weg zu stellen. Niemand!
Jeden einzelnen Schritt nach oben genoss ich. Die Axt wippte in meinen Händen, und der Schweiß rann in Strömen von mir herab. Ich war auf Betriebstemperatur.
Gleich der erste Hieb ließ die Mitteltür zersplittern. Der nächste verwandelte die gesamt Frontpartie des begehbaren Schrankes in ein Symbol der Zerstörung. Ich war gut, ich war so gut. Jeder Hieb saß. Die Seitenwände waren in drei Minuten nur noch eine lächerliche Behauptung ihrer vermeintlichen Stabilität. Von wegen, so was hält für immer. Von wegen! Nichts hält für immer. Die Zwischenwände zerhackte meine neue Freundin in weniger als vier Minuten. Sommerkleider, Winterröcke, Pullover nach Farben sortiert, alles fiel ins Bodenlose. Gut, die Kleider ließen sich nicht zerhacken, auch wenn ich noch so hart auf sie einschlug, aber bei den beiden Kisten mit Sommerschuhen war ich erfolgreicher. Hack! Hack! Hack! Nicht ein Schuh überlebte, nicht einer. Hack! Hack! Hack! Und der Cowboystiefel in der Sockenkiste hauchte seinen letzten Atem aus. Cowboystiefel? Das waren meine Stiefel. Was zum Teufel machten meine Cowboystiefel in ihrem Schrank? In der Sockenkiste? Sie hatte sie versteckt, weil sie die Stiefel immer schon gehasst hatte. An mir und überhaupt. Jetzt hatte ich sie gefunden und getötet. Egal, der Krieg ist nie gerecht. Die Eifersucht schon gar nicht.
Der begehbare Schrank war nun richtig begehbar. Von oben! Ha!
Aber das konnte noch nicht alles gewesen sein. Gleich musste Bettina kommen und die Zerstörung war zu klein, um ihr die Größe meiner Verletzung anschaulich zu machen.
Ich rannte die Treppen herunter. Im Wohnzimmer sah ich mich um. Eine Stereoanlage, zwei Boxen, ein Subwoofer, unantastbares Equipment. Das alles gehörte mir. Also war der Rest frei.
Ich band mir einen Gürtel um die Stirn, um die Schweißströme daran zu hindern, meine Sicht zu vernebeln. Abgesehen davon gab mir der Gürtel ein martialisches Aussehen, was ich sehr genoss. Und es war ihr Gürtel, den ich mit Wonne vollschwitzte.
Ein Hieb verwandelte ihren Kuschelsessel in ein hässliches Monster, das eine betongraue Plastikmasse aus dem Inneren spie. Noch ein Hieb, und ihre ach so geliebte Kuschelecke am rechten Flügel ihres ach so geliebten Kuschelsessels war nicht mehr. Ich schnappte mir die abgetrennte Ecke und hielt sie wie eine Trophäe hoch, grunzte dabei und rannte mehrfach im Kreis. Genau so muss man agieren, wenn einen die Macht der Eifersucht packt.
Ich zögerte nur einen kleinen Moment, aber dann musste der alte
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