Neu-Erscheinung
normale Imbissbuden wie Günter’s Schnitzelparadies an der B 123 verzichten weitestgehend auf Termine.
Das Schwierigste aber, was einem Mann in Muenden und anderswo passieren kann, ist, einen Frisör zu finden – ohne Termin. Ich hasse es, wenn mein Wunsch nach ein bisschen Grund auf dem Kopf mit wochenlangen Vorausplanungsaktivitäten verbunden ist. Haare schneiden ist wie Hunger, wenn er da ist, muss man was machen. Sofort!
Der Salon Janus, direkt hinter Blumen Hoffmann (vom Marktplatz aus gesehen), kennt keine Termine. Dafür kennt das Personal jeden in Muenden. Und die, die nicht bekannt sind, sind entweder zugereist oder verstorben. In einigen Fällen schon beides.
Auf dem Weg nach Hause war es so weit. Ich brauchte Grund. Vorne etwas kürzer, den Nacken sauber und an den Seiten die Ohren frei. Mit dieser präzisen wie schlichten Maßgabe kamen alle Fachkräfte im Salon Janus zurecht. Immer schon. Bis auf eine Ausnahme. Eine mittelalte Dame aus Görlitz, die kurz nach der Wende behauptete, ihren Gesellenbrief in einem Frauenknast der Stasi verloren zu haben, war die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel. Dieter Jachowiak, der Besitzer des Salon Janus, hatte Mitleid mit ihr und stellte sie ein, ohne weitere Fragen zu stellen. Leider war die mittelalte Dame nie in ihrem Leben eine Friseurin, geschweige denn eine Gesellin. Sie kam auch nicht aus Görlitz, sondern aus Mittelburg in Hessen. Damit hatte sich auch der Frauenknast der Stasi erübrigt. Sie war eine gelernte Nichts! Und ich ihr Opfer. Ausgerechnet vor dem großen Jubiläumsschützenfest verwandelte sie mein Haar in eine frisierte Zumutung. Ein Dutzend Ratten hätten die Konturen meines Schopfes besser und hübscher abgenagt als die Schere der mittelalten Dame. Fünf Wochen lang trug ich eine alberne Mütze.
Jetzt saß ich wieder im Salon Janus. Ich war als Nächster dran. Ich wartete geduldig, mein Puls war zweistellig, im unteren Bereich. Nichts konnte daran etwas ändern. Weder der kleine Schimmelbefall, den ich in einer Deckenecke als für mich völlig harmlos und kaum bedrohlich identifizierte, noch das verschämt abblätternde Mahagoni-Furnier an der alten Registrierkasse, die sich offenkundig weigerte einen guten Eindruck beim Kunden zu hinterlassen. Der Salon Janus steckte alles in die Kunden und nicht in die Kasse, wie mir sein Besitzer immer wieder unaufgefordert versicherte. Aus dem Nebenzimmer surrten die Wärmehauben zur Freude der Klimakatastrophe und unseres regionalen Stromversorgers und versuchten dabei auch noch den belanglosen Smalltalk der unter ihnen verweilenden Dauerwellen einigermaßen zu übertönen. Mit wenig Erfolg. Die Sternstunden gepflegter Unterhaltung hallten ungefiltert hinüber in den Männertrakt.
»Zu heiß, Frau Körke-Meyerfeld?«
»Wo geht’s denn dies Jahr in den Urlaub, Frau Tacke?«
»Ist Ihr Mann denn wieder gesund, Frau Urban?«
»Sie haben aber abgenommen, stimmt’s, Frau Lindelmann?«
Ich war entspannt und freute mich auf ›vorne etwas kürzer, den Nacken sauber und an den Seiten die Ohren frei‹. Aber die Vorfreude fand ein jähes Ende. Denn knapp unter dem blinden Teil des Vorkriegsspiegels erspähte ich etwas, das mich zusammenzucken ließ. Ich drehte mich um meine eigene Achse, um ganz sicher zu gehen, dass das, was ich da gerade im Spiegel gesehen hatte, auch wirklich geschah. Und es geschah. Und es war nicht gut. Es war gar nicht gut. Vor dem Salon Janus ging meine Frau in Richtung Eisdiele. Sie lachte, war ganz offensichtlich allerbester Laune. Das war kein Problem. Das Problem war der Grund für ihre gute Laune: Thomas Lesnik, der in genau diesem Augenblick seine Hand auf die Schulter meiner Frau legte.
»Herr Litten, Sie können jetzt. Wie immer?« Lara hielt den violetten Frisörkittel einladend hoch.
»Nee, jetzt nicht!«, flüsterte ich psychisch entmannt und fassungslos, während mein Puls die Zweistelligkeit in den oberen Bereich hievte.
Ich hätte aufstehen müssen, um die beiden da draußen direkt mit meiner ganzen schlimmen Gedankenwucht zu konfrontieren, aber ich blieb sitzen und schaute traurig aus dem Fenster. Bettina und Lesnik betraten die Eisdiele. Diabetikereis, eine Kugel 90 Cent, versprach die Tafel im Schaufenster. Vanille, Erdbeer, Schokolade. Und mir wurde heiß, sehr heiß.
»Herr Litten, alles in Ordnung?«
Ich schüttelte den Kopf und verließ den Salon Janus. Vorne etwas länger, den Nacken unsauber und an den Seiten die Ohren unfrei.
Ich und mein Freund
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