Neubeginn in Virgin River
ich fast vom Berg gerutscht!“
„Ah … Mel …“
„Wir haben kein Kabelfernsehen hier und die meiste Zeit keine Handyverbindung. Und es gibt nicht einen einzigen Menschen, der meine Cole-Haan-Stieiel zu schätzen weiß, die nebenbei bemerkt von der ganzen Rumlatscherei durch Felder und Wälder allmählich scheußlich aussehen. Hast du gewusst, dass man hier bei kritischen Krankheiten oder Unfällen den Hubschrauber anfordert? Man muss verrückt sein, um das entspannend zu finden. Oder aufbauend.“ Sie lachte. „Als ich L. A. verließ, war ich in einem Zustand, in dem ich dachte, ich müsste diesem ganzen Kampf unbedingt entfliehen. Auf den Gedanken, dass eine Herausforderung mir auch guttun könnte, bin ich gar nicht gekommen – eine völlig neue Herausforderung.“
„Mel …“
„Als ich Jack sagte, dass ich schwanger bin – obwohl ich ihm ja versichert hatte, dass nichts passieren kann –, hätte er ebenso gut sagen können: ,Ohne mich, mein Schatz‘. Aber weißt du, was er gesagt hat? Er hat gesagt: ,Ich brauche dich und das Baby in meinem Leben, und wenn du nicht hier leben kannst, gehe ich überall mit dir hin.‘“ Sie schniefte ein bisschen, und eine Träne lief ihr über die Wange. „Wenn ich morgens aufwache, sehe ich als Erstes nach, ob Rehe auf dem Grundstück sind. Dann überlege ich, was Preacher sich heute wohl wieder zum Abendessen einfallen lassen wird. Jack ist dann gewöhnlich schon wieder ins Dorf zurückgefahren. Er liebt es, frühmorgens Holz zu hacken. Das halbe Dorf wacht davon auf. Mehrmals am Tag treffen wir uns, und jedes Mal sieht er mich an, als wären wir ein Jahr lang getrennt gewesen. Wenn ich eine Patientin habe, die in den Wehen liegt, bleibt er die ganze Nacht lang wach, nur für den Fall, dass ich etwas brauchen könnte. Und wenn ich nachts keine Patientinnen habe und er mich festhält, bevor ich einschlafe, dann ist der schlechte Fernsehempfang das Letzte, woran ich denke. Du fragst mich also, ob ich hierbleiben werde … Nun, ich bin hierhergekommen, weil ich glaubte, alles, was von Bedeutung ist, verloren zu haben, und am Ende habe ich all das gefunden, was ich mir je gewünscht hatte. Ja, Joey, ich werde bleiben. Jack ist hier. Und abgesehen davon gehöre ich jetzt auch hierher. Ich gehöre zu ihnen, und sie gehören zu mir.“
Gleich nach dem Frühstück ging Mel zur Praxis hinüber. Es wäre bestimmt in Ordnung, es Doc gleich zu erzählen. Als sie aber das Haus betrat, wurde sie von Stille empfangen. Gut, dachte sie. Noch keine Patienten da. Sie ging zu Does Büro, klopfte kurz an die Tür und stieß sie auf. Zurückgelehnt saß er vor seinem Schreibtisch auf dem Stuhl und hatte die Augen geschlossen. Hmm. Tagsüber schläft er ja nie, oder was? Sie beugte sich über ihn. Es gefiel ihr, Doc einmal so zahm zu sehen.
Schon wollte Mel wieder gehen und einen besseren Zeitpunkt abwarten, als irgendetwas sie veranlasste, sich Doc noch einmal genauer anzusehen. Das Gesicht verzerrt, hielt er die Augen fest zusammengekniffen, und seine Hautfarbe war grau. Sie befühlte seinen Puls. Er raste. Dann legte sie ihm die Hand an die Stirn und stellte fest, dass sie feucht war. Er öffnete die Augen einen Spaltbreit. „Was ist los?“, fragte sie ihn.
„Nichts“, meinte er. „Sodbrennen.“
Sodbrennen lässt doch deinen Puls nicht so rasen und treibt dir den Schweiß auf die Stirn, dachte sie. Sie beeilte sich, das Stethoskop und das Blutdruckmessgerät aus dem Untersuchungszimmer zu holen, und kam dann zurück zu ihm. „Werden Sie mir jetzt sagen, was los ist, oder soll ich raten?“
„Ich habe es Ihnen doch gesagt … Es ist nichts. In ein paar Minuten wird es mir wieder besser gehen.“
Sie maß seinen Blutdruck, auch wenn sie darum zu kämpfen hatte, dass er es überhaupt zuließ. „Haben Sie schon gefrühstückt?“, wollte sie wissen.
„Das ist schon etwas her.“
„Was war es? Eier und Schinken? Wurst?“
„So was Tolles war es nicht. Preacher ist ein bisschen davon abgekommen …“
Er hatte erhöhten Blutdruck. „Schmerzen in der Brust?“, fragte sie.
„Nein.“
Sie tastete seinen Unterleib ab, obwohl das übermäßige Fettgewebe an seinem Schmerbauch es unmöglich machte, die inneren Organe zu fühlen, solange er aufrecht saß. Und er schlug ihr auch noch auf die Hand und versuchte, sie wegzuschieben. Aber während sie ihn abtastete, stöhnte er vor Schmerzen. „Wie oft hatten Sie das schon?“, fragte sie ihn.
„Wie oft
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