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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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honiggold. Honiggold schimmerten die Möbel, honiggold glänzten die Gedecke, ja selbst die Luft schien von diesem Farbton getränkt. »Bienenwachs?« fragte Georg. »Ausgezeichnet!« rief Barrista. »Und wissen Sie, woher ich die Kerzen beziehe? Aus Italien, Kirchenbedarf!«
    Die Musikanlage war grandios; wir standen inmitten eines Orchesters, das Händel spielte.
    »So ’n Mist!« sagte die Kellnerin, die offenbar schon die ganze Zeit vergeblich vor dem Spiegel an ihrer Frisur genestelt hatte und jetzt den Kopf ein paarmal hin und her warf, damit ihr das Haar über die Schultern fiel. Sie gab uns reihum die Hand, ihr Lächeln schob die Wangen zu Hügelchen zusammen, hinter denen die Augen blinzelten. Ihre weiße Bluse saß locker, doch konnte sie nicht verhüllen, wie sehr ihr der Rockbund ins Fleisch schnitt. Ich kannte sie, ich wußte nur nicht mehr, woher.
    Barrista mahnte uns, nicht länger herumzustehen, wir hätten viel vor. So schlichen wir dann wie beim Stuhlwalzer 77 um die altmodischen Sessel und versuchten die gekritzelten Namen auf den Tischkarten zu entziffern.
    »Lassen Sie uns trinken, Champagner muß eisig genossen werden!« Nach einem kurzen Toast auf die gemeinsame Zukunft und das Gelingen unseres Vorhabens prostete er jedem zu. Als ich an die Reihe kam, sahen wir uns länger als gemeinhin üblich in die Augen, das heißt, ich sah in das, was groß und dunkel hinter seinen Brillengläsern schwamm.
    Lieber! Wärst Du doch dabeigewesen! Allein der erste Schluck Champagner – wie lächerlich zu sagen: er perlte, er sprudelte. O nein, dieses Naß berührte Gaumen und Zunge kaum und verflüchtigte sich in noch Leichteres. Wie schade, dachte ich, vorbei – erst da spürte ich im Innersten die abgründige Kühle, ja, für Augenblicke war ich selbst nichts weiter als dieser eisige Genuß. Gestochen scharf, als betrachtete ich mich unterm Mikroskop, nahm ich wahr, wie dieses Elixier von Zelle zu Zelle diffundierte.
    Es war still wie bei einer Andacht. Jede emporgezogene Augenbraue, jedes kennerhafte Schmatzen, jedes Lob wäre läppisch, wäre ein Sakrileg gewesen. Auch Barrista ergab sich dem Mysterium und lauschte in sich hinein. Und ich verstand zum ersten Mal, warum man ein Glas zerschmettert. Verzeih dieses Pathos, doch bereits der zweite Schluck besaß ein Gran Gewöhnlichkeit.
    Früher hätte ich mir gewünscht, den Genuß in allen Nuancen und Farben beschreiben zu können. Heute reicht es mir, ihn erfahren zu haben.
    Die Kellnerin stellte eine silberne Schale zwischen uns, in deren Mitte ein glänzender Delphin aufsprang, um ihn herum ein Meer aus Eis, auf dem – wie ich glaubte – zwölf schwarze verschrumpelte Muscheln lagen, dazu Zitronenschnitze und Schälchen mit Sauce. Die Kellnerin streifte mit ihrer Hand meine Schulter, als wäre sie die Gastgeberin.
    Der Baron hielt uns einen Vortrag, bei dem seine flache Hand den Zeigestock ersetzte. Anfangs wirkte die Ernsthaftigkeit, mit der er die verschiedenen Sorten Austern beim Namen nannte, ihre Herkunft und Eigenschaften beschrieb, irgendwie rührend, beinah lächerlich. Doch dieser Eindruck verflog schnell. Es gab verschiedene Sorten – pazifische Austern, atlantische Austern, antarktische Austern, Austern aus Nordfrankreich.
    »Und jetzt machen Sie es so!« Barrista hantierte mit einem merkwürdigen Gäbelchen. »Lösen – Zitrone – Sauce, nicht zuviel – schlürfen!« Er schlürfte sie tatsächlich. Das Wasser drum herum soll angeblich noch Ozean sein.
    Kaum hatte ich das glitschige Zeug im Mund, rief er. »Kauen! Sie müssen kauen, kauen, merken Sie’s?« Es schmeckte seltsam, wie etwas, das eigentlich keine Speise ist, aber Geschmack besitzt, ein wenig wie Nüsse. Ich kümmerte mich nicht um die anderen (Jörg gestand später, seine am liebsten ausgespuckt zuhaben) und griff mir eine zweite. Mit den Austern verhielt es sich genau umgekehrt wie mit dem Champagner. Die zweite genoß ich tatsächlich!
    Barrista erhob wieder sein Glas. Der Weißwein klärte und vervielfachte den Geschmack. Ich schlürfte eine dritte.
    »Er hat wohl Feuer gefangen?!« Barrista stieß mit mir an und teilte die restlichen Austern zwischen sich und mir auf.
    Früh um sechs war er heute nach Westberlin gefahren und hatte »in ausgewiesenen Geschäften« eingekauft. Er beschenke damit vor allem sich selbst. Viel zu lange habe er pausiert und sei nun glücklich, in diesem Kreise wieder genießen zu dürfen. Wir sollten nicht denken, erstklassige Qualität sei

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