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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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sagte: »Aber meine Steuererklärung möchten Sie nicht sehen!?« Ich versicherte, daß ich ihm weiß Gott nicht zu nahe treten wolle – »Lassen Sie Gott aus dem Spiel!« fuhr er mich in noch schärferem Ton an.
    »Ist das üblich?« wandte er sich an Georg, dann an Jörg und schließlich wieder an mich. »Fragt man sich bei Ihnen die Berufe ab?«
    Ratlos bejahte ich.
    Er habe sich nie herausgenommen, derartiges zu fragen, es seidenn in Vorstellungsgesprächen. Natürlich interessiere ihn das, wir sollten ihn nicht falsch verstehen, brennend interessiere ihn, wie jemand sein Geld verdiene, denn der »Job« sei ja leider oft die einzige nicht lächerliche Seite eines Menschen. »Dann darf ich wohl später die Frage an Sie zurückgeben?«
    Man könne ihn »schlicht und ergreifend« als Unternehmensberater bezeichnen, was die einfachste Umschreibung für sein Tun und Lassen sei. Doch »interpretiere« er diesen Beruf etwas anders als gemeinhin üblich. Er investiere hier und da schon mal selbst, da es in seinen Augen »Sinn mache«, durch den Zuschuß eigenen Kapitals den Klienten nicht nur das nötige Vertrauen in seine Vorschläge zu geben – etwas anderes als Vorschläge könne er ja nie unterbreiten. Für ihn sei es unmoralisch, unabhängig von Erfolg oder Mißerfolg zu kassieren, wie es mit Vorliebe die Banken oder seine speziellen Freunde, die Rechtsanwälte, täten. Über den eigenen Berufsstand äußere er sich lieber nicht, denn da werde zu oft der Bock zum Gärtner gemacht. Für einige Augenblicke verfiel er in ein Sinnen, murmelte etwas und entschuldigte sich für seine Absenz. Alle Berufsstände, fuhr er fort, auch und vor allem Ärzte, würde er gern diesem Erfolgsgesetz unterwerfen. Er könne nur sagen: Das eigene Interesse sei noch immer der beste Ratgeber, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft, ja für die Menschheit. Davon sei er zutiefst überzeugt.
    Auf einem goldschimmernden Tablett wurden uns Zahnstocher gereicht. Barrista bediente sich großzügig, lehnte sich zurück und brachte seinen Sessel in eine Kippelstellung. Wie in einem Schaukelstuhl vor- und zurückwippend, sprach er weiter.
    Wenn er etwas in dieser Welt nicht verstehe, dann die bedauerliche Tatsache, daß es kaum Leute seines Schlages gebe. Warum ließen sich die Menschen fortwährend mit Ganoven ein – das sei die Frage, die er der Welt stelle. Darüber habe er vor Jahren einkleines Büchlein 78 geschrieben und gehofft, einige Anhänger für seine Methode zu finden, ja ganz insgeheim – er stocherte hinter vorgehaltener Hand in seinem Mund – habe er sogar von einer
Berufung
geträumt, als Dozent an eine Hochschule. Wenn wir uns mal anschauten, für welch abenteuerliche Wirtschaftstheorien es Nobelpreise gebe! Nobelpreise für Theorien, deren Umsetzung ganze Länder in den Ruin geführt habe. Professor an einer Universität zu werden sei einer der wenigen Träume, die er noch nicht verwirklicht habe.
    »Ach«, rief er, »ein Lehrstuhl für Poesie!«
    Als habe er unsere Verblüffung nicht bemerkt, nahm er uns wie ein richtiger Professor in die Mangel.
    »Was fällt Ihnen bei der Jahreszahl 1797 ein?« fragte er.
    »Balladenjahr«, sagte ich.
    »Hyperion« 79 , sagte Georg.
    »Sehr gut«, sagte der Baron, »aber wir sind hier nicht im Literaturunterricht.«
    »Napoleon«, rief Jörg.
    »Napoleon stimmt immer. Aber es geht um England, eine Leistung, für die die gesamte zivilisierte Welt dem Empire Dank schuldet. Am 24. Februar 1797 erging ein Gesetz, das die Bank of England ermächtigte, den Umtausch von Papiergeld in Münzen zu verweigern.«
    Wir sahen ihn an.
    »Und, meine Herren? Was geschah?«
    »Eine Inflation?« fragte Jörg.
    »Nein!« schrie Barrista. »Eben nicht! Die Kurse stiegen! Wie fragwürdig Napoleon ist, sieht man unter anderem daran, daß erglaubte, dies sei das Ende der britischen Stabilität. Napoleon, diese dumme Elster, häufte ja Edelmetall an, wo er nur konnte. Die französischen Assignaten aber hatten bereits im April 1797 nur noch einen Wert von 0,5 Prozent! Das müssen Sie sich einmal vorstellen! Dabei gab es ja all die Kirchengüter noch als Gegenwert! Was also folgt daraus?« Wir schwiegen.
    »Wo etwas ist, wird nichts sein!« triumphierte er. »Und wo nichts ist, wird etwas sein! Wenn das keine Poesie ist, weiß ich auch nicht, was Poesie sein soll!« Seine Schlußkonfession, er beschäftige sich so gerne mit Geld, weil nichts poetischer sei als eine Hundert-Dollar-Note,

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