Neue Leben: Roman (German Edition)
gewaschen und gebügelt überreichte, fragte sie, ob sie etwas für mich tun könne. Und nun sammelt Frau Schorba Anzeigen für das »Wochenblatt«.
Unser wöchentliches Ritual verfolgte Barrista von der Tür aus. Während ich die Meldungen aus dem »Wochenblatt«-Schnellhefter überfliege, wiegt sich Frau Schorba ausdrucksvoll wie eine Pianistin an ihrer Schreibmaschine. Nachdem ich ihrem Spiel eine Weile zugesehen habe, sage ich: »Frau Schorba, ich bewundere Sie!«
Dann sinken ihre Hände in den Schoß. Ich ignoriere ihr vielsagendes Schweigen, bedanke mich und rufe, schon im Gehen: »Bis nächste Woche!«
»Sie haben da etwas vergessen!« antwortet sie und lächelt maliziös. In einer Hand hält Frau Schorba die Annoncen, in der anderen das Kuvert mit dem Geld.
»Das ist ja Rekord!« rief ich diesmal laut. Von den sechs Anzeigen waren drei zweispaltig, eine sogar achtzig Millimeter hoch.
Plötzlich stand Barrista da, ergriff ihre Hand und sagte: »Jemand wie Sie muß einfach unter meinem Schutz stehen!« Ich war nicht weniger verblüfft als Frau Schorba. »Wann immer Sie mich brauchen«, versprach er und legte seine Visitenkarte neben die Schreibmaschine. Mit einer Verbeugung und einer eleganten Drehung verabschiedete er sich und war schon zur Tür hinaus.
»Er ist der Abgesandte des Erbprinzen«, flüsterte ich ihr zu und folgte ihm.
Zum »Lunch«, wie Barrista das Mittagessen nennt, fuhren wir wieder in die »Schiedsrichterklause«. Nachdem sich Barristanach meinem Geburtsjahr erkundigt hatte, lud er uns – Jörg, Georg und mich – für Dienstag in den »Wenzel« ein. Ich werde Dir berichten!
Sei umarmt, Enrico
Mittwoch, 7. 3. 90
Lieber Jo!
Vera ruft immer mal aus Beirut an. Sie hockt dann in einer winzigen Kabine, die Verbindung ging beim letzten Mal über New York. Ich stehe, den Hörer ans Ohr gepreßt, mitten in der Redaktion, selten allein. Die Geschichten, die Vera zu hören bekommt, das Elend, das sie sieht, die Verkrüppelten, die zerschossenen Häuser und Palmen, die Straßensperren und zu Hause ihre starrsinnige Schwiegermutter und der zaudernde Nicola, diese ganze Trostlosigkeit – ich weiß nicht, was ich zu alldem sagen soll. Meine Briefe erreichen sie nicht, weil die Post nicht funktioniert. Dafür ist es kein Problem, französischen Käse, Cognac oder andere Delikatessen zu kaufen. Ich hoffe, Vera kehrt bald zurück.
Michaela ist nach Berlin gefahren, zu ihrer berühmten Freundin Thea. Sie will auch Flieder im Krankenhaus besuchen. Hier ist es seltsam ruhig. Sogar die Kriminalitätsrate sinkt von Woche zu Woche.
Streit gibt es in der Redaktion nur gelegentlich wegen der Anzeigen. Mit Georg ist in diesen Dingen nicht zu reden. Durch die Anzeigen nehmen wir ungefähr jenen Betrag ein, den wir durch den Rückgang des Verkaufs verlieren. Aber Georg zufolge verlieren wir Leser, gerade weil wir Anzeigen drucken. Er redetesich in Rage, wir hielten unsere Absprachen nicht ein und würfen mir nichts, dir nichts unser eigentliches Anliegen über Bord.
Doch nachdem jeder das Seine gesagt hatte, war der Streit auch schon überstanden. Da aber steckte Ilona ihr Köpfchen herein und gemahnte uns daran, daß der Herr von Barrista bereits mehrfach angerufen und sich nach unseren Geburtsjahren erkundigt habe.
Er habe diesen Kerl noch nie zu Gesicht bekommen, rief Georg, ständig dieser Barrista, überall Barrista, Barrista! Der könne sich sein Geburtsjahr sonstwohin stecken! Jörg beruhigte ihn schnell, indem er an die Möglichkeiten erinnerte, die uns der Besuch des Erbprinzen eröffnen werde. Außerdem lerne er Barrista ja am Abend kennen.
Punkt acht betraten wir den »Wenzel«. Im Restaurant war alles besetzt, eine Reservierung habe Herr von Barrista nicht gemacht, sonst jeden Abend, aber für heute, nein, leider nicht. Die Bar war geschlossen. Uns blieben die Sessel im Foyer.
Nach einer Viertelstunde einigten wir uns darauf, ihm noch zehn Minuten zu geben. Da öffnete sich der Fahrstuhl, und Barrista trat vor uns. Er seufzte, schüttelte den Kopf, die erhobenen Hände bedeuteten Bedauern und Vorwurf. Alles sei längst fertig! Und wir säßen hier herum!
Er hatte gehofft, verriet uns Barrista im Fahrstuhl, »daß wir IHN hier wohnen lassen könnten: Fürstensuite! Das klingt doch nach was! Doch ausgeschlossen. Hier kann ER nicht bleiben.« Mir hingegen erschien die Suite, zu der uns Barrista die Tür aufhielt, prächtig. Eine Armada dreiarmiger Leuchter färbte den Raum
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